Rentenpaket II
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Reformvorschläge für die Gesetzliche Rentenversicherung

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Reformvorschläge für die Gesetzliche Rentenversicherung

Eine Rentenreform ist unumgänglich: steigende Altenquotienten und Finanzierungskrisen in Deutschland.

8. Mai 2024

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Professor Dr. Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hat im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) eine Expertise zur aktuellen Situation und entsprechende Reformvorschlägen für die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland veröffentlicht.  

Kurzexpertise: Eine Rentenreform ist unumgänglich

Demografische Herausforderung: 

Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen, die vorrangig auf den demografischen Wandel und die damit verbundene Alterung der Bevölkerung zurückzuführen sind.

Doch die Dringlichkeit des Reformbedarfs im Rentensystem hat mehrere Gründe: 

Finanzierungslast durch demografische Entwicklung: Der demografische Wandel führt zu einem steigenden Altenquotienten, d.h., der Anteil der Rentenempfänger im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung nimmt zu. Im Jahr 2023 betrug der Altenquotient 37 %, und es wird erwartet, dass dieser in den kommenden Jahren auf etwa 50 % ansteigt. Dies erhöht den Druck auf das umlagefinanzierte System, da immer weniger Beitragszahler für die zunehmende Zahl der Rentenempfänger aufkommen müssen. Eine Entwicklung, die sich schon seit vielen Jahren abzeichne. 

Stabilität der Rentenleistungen:

Die durchschnittliche gesetzliche Bruttorente lag am Ende des Jahres 2022 bei 1.176 Euro pro Monat. Während die Renten in den Jahren von 2013 bis 2020 real um 20% gestiegen sind, führte die hohe Inflation in den Jahren 2021 und 2022 zu realen Einkommensverlusten bei den Rentenempfängern.

Finanzierungsdilemma:

Die Finanzierung der Rentenversicherung durch Bundeszuschüsse, die aus allgemeinen Steuermitteln stammen, stellt eine große Belastung für den Bundeshaushalt dar. Zukünftig könnten die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung nur teilweise durch die Beitragseinnahmen gedeckt werden. 

Einkommenssituation im Alter:

Eine signifikante Anzahl älterer Personen in Deutschland ist von Altersarmut betroffen. Im Jahr 2022 waren 18,7 % der älteren Personen einkommensarm, mit Frauen besonders häufig betroffen. 

Die Darstellung der derzeitigen Situation in Deutschland zeigt: Lange notwendige Reformen sind in den vergangenen Jahren schlichtweg ausgeblieben. Der steigende Altenquotient und die daraus resultierende finanzielle Belastung des Systems erfordern innovative Lösungen, um die zukünftige Finanzierbarkeit und die Angemessenheit der Rentenleistungen zu sichern.  

Das Rentenpaket II: 

Am 5. März 2024 kündigte die Bundesregierung das Rentenpaket II an. Dieses Paket beinhaltet zwei Hauptkomponenten: 

1. Niveauschutzklausel: Diese Klausel soll sicherstellen, dass das Verhältnis von gesetzlicher Durchschnittsrente zum Durchschnittslohn (Rentenniveau) nicht unter 48 % fällt.  

Einordnung: Gemäß dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung stärker ansteigen wird als bisher geplant und bis zum Jahr 2030 voraussichtlich die Marke von 20 % übersteigt. Infolgedessen wird der Nachhaltigkeitsfaktor praktisch außer Kraft gesetzt, um das Rentenniveau auf Kosten der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer zu stabilisieren. 

2. Stiftungskapital („Generationenkapital“): Es wird ein Kapitalfonds eingerichtet, dessen Erträge dazu verwendet werden sollen, den Anstieg des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung zu dämpfen. Ein früherer Beginn des Aufbaus eines Staatsfonds eine deutlichere Senkung des Beitragssatzes ermöglicht. Für spürbare Entlastungen müsste der Kapitalstock umfangreicher sein. 

Einordnung: Der Aufbau des Generationenkapitals verursacht zunächst keine höheren Finanzierungsbedürfnisse für die öffentlichen Haushalte, da es durch zusätzliche Staatsschulden finanziert wird. Dies führt jedoch zu höheren zukünftigen Zinsausgaben, sodass nur die Erträge, die über diese Zinsausgaben hinausgehen, für die Minderung der Beitragszahlungen nutzbar sind, sofern diese Zinsen nicht aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden. Das Generationenkapital stellt kein individuelles Kapitaldeckungssystem dar, da es nicht auf individuellen Beiträgen basiert, die später individuellen Auszahlungen gegenüberstehen. Es gibt keine individuellen Ansprüche gegenüber dem Kapitalstock, was das Risiko erhöht, dass der Staat diese Reserven zweckentfremdet. Zudem sind die Nettoerträge der Kreditfinanzierung Zinsschwankungen unterworfen, die bei feststehenden Auszahlungsverpflichtungen aus anderen Einnahmen ausgeglichen werden müssen. 

Reformvorschläge:  

1. Anhebung der Regelaltersgrenze könnte die steigende Lebenserwartung und die damit verbundenen längeren Rentenbezugszeiten ausgleichen und in der Summe die finanzielle Belastung des Rentensystems verringern. Kurzfristig dürfte dies zu höheren Beitragseinnahmen führen, da die Erwerbstätigen länger Beiträge entrichten und das potenzielle Arbeitsvolumen höher ausfällt. Später kommt es allerdings aufgrund der gestiegenen Rentenanwartschaften zu höheren monatlichen Rentenauszahlungen.  

2. Eine Stärkung der privaten Altersvorsorge durch staatliche Zuschüsse oder steuerliche Förderung würde Anreize erhöhen, während der Erwerbstätigkeit zielgerichtet für das Rentenalter zu sparen.  

3. Eine kapitalgedeckte Altersvorsorge im gesetzlichen Rentensystem soll durch die erzielte Rendite das umlagefinanzierte Rentensystem entlasten. Jedoch hängt die Höhe der Rendite von der Entwicklung der Kapitalmärkte ab.  

4. Ausweitung der Sozialversicherungspflicht: Aufnahme von Beamten und Selbständigen sowie Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit und schnellere Integration von Migranten erhöht die Anzahl der Beitragszahler. Dadurch entlastet sich kurz- bis mittelfristige die finanzielle Belastung der Rentenversicherung durch mehr Beitragszahler ohne sofortige Erhöhung der Rentenzahlungen. 

5. Einführung einer gesetzlichen Basisrente: Entkopplung der Rentenhöhe der geleisteten Einzahlungen, mögliche Nivellierung der individuellen Rentenzahlungen. 

6. Preisindexierung der Renten: Ersetzung der Lohnindexierung durch Preisindexierung zur Rentenanpassung. Entlastung der Rentenkasse, da die Nominallöhne tendenziell schneller steigen als Preise. So verbessert sich Verhältnis von Einnahmen zu Ausgaben. 

7. Digitalisierung und künstliche Intelligenz: Einsatz von Technologien zur Senkung der Verwaltungskosten und zur Verbesserung des Services. Zudem profitiert die Verwaltung von der Effizienzsteigerung durch automatisierte Prozesse und verbesserten Kundenservice. 

Fazit:

Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland verfolgt mehrere Ziele: Sicherung des Existenzminimums, Leistungen bei Erwerbsunfähigkeit und Erhalt des Lebensstandards im Alter. Eine effizientere Zielverfolgung würde den Einsatz spezifischer Instrumente für jedes Ziel erfordern, um Zielkonflikte zu vermeiden. Marktinterventionen sind nötig, wo Marktversagen droht. Eine Pflichtversicherung sichert das Existenzminimum, während für den Erhalt des Lebensstandards individuelle, steuerlich geförderte Vorsorgemaßnahmen sinnvoll sind. Die Vermischung der Ziele führt unter demografischem Druck zu steigenden Beiträgen und Staatszuschüssen. Empfehlungen zur Effizienzsteigerung beinhalten Anpassungen beim Renteneintrittsalter und die Förderung privater Vorsorge, um die Belastungen durch die Rentenversicherung zu mindern. Die bisher geplante Umsetzung des Rentenpaket II hingegen birgt mehrere Risiken und vor allem eine deutliche Mehrbelastung der Beitragszahler.