Studien
In Talkshows fehlen Wirtschaftsvertretende

Die Gästelandschaft in Polittalkshowformaten bei ARD und ZDF 2023

Polittalkshows sind als Instrument öffentlicher Meinungsbildung von großer Bedeutung. Angesichts dessen ist es umso wichtiger, dass Diskussionen in den Sendungen ausgewogen und vielschichtig ausfallen. Das setzt voraus, dass Vertreter thematisch betroffener Anspruchsgruppen verhältnisgemäß zu Wort kommen. Wenn in deutschen Polittalkshows über Wirtschaft gesprochen wird, muss mindestens ein Wirtschaftsvertreter mitreden dürfen. Unsere Studie, die die Gästelandschaft deutscher Polittalkshows in Sendungen mit wirtschaftlicher Thematik untersucht, zeigt, dass eben jenes nicht der Fall ist. Wenn Will, Illner, Maischberger und Klammroth über Wirtschaft sprechen, sprechen sie meist NICHT mit der Wirtschaft. Das spiegelt auch das zusammengefasste Ergebnis der Gästeverteilung in Sendungen mit Wirtschaftsbezug wider. Nur magere 9% der Gäste, die sich zu Wirtschaftsthemen äußern, sind Wirtschaftsvertreter aus der Praxis.

21. Januar 2024

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Die Relevanz der Untersuchung ergibt sich aus den Programmgrundsätzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser soll ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit mit einer Vielfalt von Meinungen vermitteln. Das gilt auch für Polittalkshowformate. Das Ziel ist, einen facettenreichen Diskurs zu ermöglichen. Dem Programmgrundsatz entsprechend müssen in Sendungen mit Wirtschaftsthematik auch Vertreter der Wirtschaft Gehör finden. Die vorliegende Studie soll ermitteln, inwieweit die Sichtweise von Unternehmen und der Wirtschaft in Polittalkshows eingebunden ist, wenn diese sich mit wirtschaftspolitischen Themen beschäftigen. Dafür wurden Daten aus Sendungen der KW1 bis KW48 erhoben, kategorisiert, in Relation gesetzt, ausgewertet und im Anschluss ein Fazit samt Handlungsempfehlung gezogen. 

Zusammenfassung der Talkshowformate

Erwartungsgemäß bilden Politiker und Politikerinnen mit insgesamt 105 Auftritten (41,2 Prozent) die größte Gruppe unter den Gästen in wirtschaftspolitischen Sendungen. Überraschen mag, dass Journalisten und Journalistinnen mit starken 75 Auftritten (29,4 Prozent) schon die zweitgrößte Gruppe bilden. Worum es bei wirtschaftspolitischen Sendungen (auch, aber wesentlich) geht - die Wirtschaft- spielt nur eine kleine Nebenrolle: Wirtschaftsverbandsvertreter und -vertreterinnen sowie Unternehmer und Unternehmerinnen sind jeweils nur mit zwölf von insgesamt 255 Auftritten (je 4,7 Prozent) in den Sendungen vertreten. Insgesamt liegt der Anteil der Wirtschaftsvertreter und -vertreterinnen bei 9,4 Prozent.

Den größten Gästeanteil unter den Parteien stellen CDU und CSU mit zusammen 35 Auftritten (33,7 Prozent). Von den Regierungsparteien sind bei wirtschaftspolitischen Themen am häufigsten mit 25 Auftritten (24 Prozent) die Grünen zugegen, gefolgt von der SPD mit 21 Auftritten (20,2 Prozent) und der FDP mit 17 Auftritten (16,4 Prozent). Politiker und Politikerinnen der Linken traten viermal auf (3,9 Prozent) und die Freien Wähler saßen zweimal (1,9 Prozent) auf den Stühlen der Talkshowformate. Die AfD kam nicht vor.

Bei den Sendungen stehen bei etwa einem Drittel Wirtschaftsthemen im Fokus. 50 von 153 Sendungen wiesen ein wirtschaftliches Thema auf (32,7 Prozent). Interessanterweise zeigt sich bei den Sendungen, die sich mit Wirtschaft befassen, dass in nur 18 von diesen 50 Sendungen ein Wirtschaftsvertreter oder -vertreterin mit in der Diskussion saß (36 Prozent). 

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Unterrepräsentanz von Wirtschaftsvertretern in Sendungen mit wirtschaftspolitischen Themen ist überraschend und erschreckend. Zugespitzt zusammengefasst: Die Talkformate reden über Wirtschaft, aber nicht mit der Wirtschaft. Ob der geringe Anteil an Wirtschaftsvertretern aus einem Mangel an Interessenten oder doch einer unausgewogenen Einladungskultur resultiert, ist unklar. Über die Ursachen lässt sich nur spekulieren. Unabhängig davon ist es dennoch empfehlenswert, den Anteil an Wirtschaftsvertretern in Sendungen mit Wirtschaftsthemen zu erhöhen, um zu mehr Meinungspluralität in den Debatten beizutragen und den Zuschauern ein ausgewogeneres Bild zu präsentieren. Neben dem Fachwissen, das in den Formaten oft von Wirtschaftswissenschaftlern eingebracht wird, können Wirtschaftsvertreter eine praktische Perspektive in die Diskussion einbringen und komplexe Sachverhalte der Öffentlichkeit verständlich vermitteln. Ganz allgemein sollten die von Wirtschaftspolitik betroffenen Anspruchsgruppen, das sind im Regelfall Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, durch mindestens einen Vertreter zu Wort kommen und ihre Interessen vertreten lassen können