Vor Beginn der offiziellen Sondierungsgespräche diskutierten in Berlin Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), und Prof. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), über Erwartungen an und Herausforderungen für die nächste Bundesregierung.
17. Oktober 2017Bei der Beschreibung der Ausgangslage waren sich Prof. Marcel Fratzscher und Prof. Michael Hüther recht einig: Sie sei außergewöhnlich gut. Prof. Fratzscher: „Selten hat eine Bundesregierung zu Beginn mehr Handlungsspielraum gehabt – aber auch so große Herausforderungen. Meine Sorge ist, dass die nächste Bundesregierung Wahlgeschenke verteilt.“ Prof. Hüther: „Jamaika ist eine große Chance für Deutschland. Es ist wichtig, dass jetzt in neuen Konstellationen gedacht wird.“
Bei der Finanzpolitik sieht Prof. Fratzscher die erste Priorität in einer Stärkung von Investitionen in Bildung, Innovation und Infrastruktur. Bei der Steuerpolitik sieht er eher den Bedarf, die kleinen bis mittleren Einkommen zu entlasten. Die wichtige Frage sei, wo das Geld am besten investiert sei: „Wir brauchen eine bessere Chancengleichheit, müssen die Qualität von Bildung verbessern und mehr soziale Teilhabe erreichen.“ Die Unzufriedenheit vieler Bürger könne langfristig nur über mehr Chancen und Teilhabe auch im Arbeitsmarkt gelingen.
Prof. Hüther sprach sich klar dafür aus, den sogenannten Mittelstandsbauch abzuflachen und den Spitzensteuersatz erst bei höheren Einkommen greifen zu lassen. „Hier geht es um Fairness der Besteuerung. Es kann nicht sein, dass bei mittleren Einkommen der höchste Progressionsgrad gilt“, so Prof. Hüther. Er erinnerte auch daran, dass der Solidaritätszuschlag ein Relikt ist, das nicht für die Dauer gedacht sei. Insgesamt brauche es ein einfacheres Steuersystem mit besseren Anreizen für Investitionen. So sei eine degressive Abschreibung kein Geschenk an die Steuerzahler, sondern vielmehr die Abbildung der wirtschaftlichen Realität.
Prof. Fratzscher betonte, dass ein Ausbau des Sozialstaats nicht das grundlegende Problem der mangelnden Chancen und Teilhabe lösen kann. „Meine Sorge ist, dass man nun die goldenen Jahre nicht nutzt für Reformen, sondern eher auf Umverteilung setzt als auf Investitionen. Das wäre der falsche Weg.“ Ähnlich äußerte sich auch Prof. Hüther. „Wir brauchen eine präventive Sozialpolitik.“ Diese sei vor allem mit Blick in die Zukunft wichtig. „Die Ausbildungskapazitäten müssen gestärkt werden, damit kein digitales Prekariat entsteht“, so Prof. Hüther.
Bei der Energiewende sehen beide Ökonomen dringenden Handlungsbedarf: Prof. Fratzscher: „Die Energiewende kann ein großer Erfolg werden. Dazu müssen aber die Marktprozesse weiter optimiert werden.“ Ähnlich sieht das auch Prof. Hüther. Er bemängelte den fehlenden Wettbewerb unter den erneuerbaren Energien, hat aber durchaus Hoffnung für die Zukunft. „Dass es geht, zeigen die Ergebnisse der ersten Auktionierung.“
Die neue Bundesregierung muss nach Überzeugung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) die Chancen nutzen und Zukunftsthemen anpacken, um das Land zu modernisieren. Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der INSM: „Wir brauchen den digitalen Wandel ohne Wenn und Aber. Wir brauchen Rahmenbedingungen für eine Energiewende, die bezahlbar bleibt und gleichzeitig das Klima schützt, sowie Reformen für einen offenen und flexiblen Arbeitsmarkt. Wir brauchen Steuerentlastungen, und zwar für alle.“
Die Veranstaltung wurde moderiert von Sven Afhüppe (Chefredakteur Handelsblatt)
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