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Interview

„Schleichende Kündigung des Generationenvertrags“

Interview

„Schleichende Kündigung des Generationenvertrags“

Der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen kritisiert die derzeitige Rentenpolitik als populistisch und fordert grundlegende Reformen. Das Gespräch führte Daniel Gräber.

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Bernd Raffelhüschen forscht als Finanzwissenschaftler an der Universität Freiburg zur Alterssicherung, Gesundheitsökonomie und Pflegeversorgung. Er war 2003 Mitglied der Rürup-Kommission zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme.

Herr Professor Raffelhüschen, wie sicher ist die Rente?
Bernd Raffelhüschen: Die Rentenversicherung hat immer funktioniert in Deutschland. Sie hat Kriege und Katastrophen überlebt. Aber wir haben versäumt, sie auf die demografische Katastrophe vorzubereiten.

Was bedeutet das?
Die jetzige Bundesregierung sagt: Die Beiträge dürfen nicht steigen, die Renten nicht sinken und das Renteneintrittsalter darf nicht erhöht werden. Deshalb muss immer mehr Steuergeld in die Rentenkasse fließen. Wenn wir so weitermachen, wird bald weit mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts in den sozialen Sicherungssystemen landen. Dieses Geld fehlt dem Staat dann an anderer Stelle. Oder es kommen Steuererhöhungen. Eine Erhöhung der Steuern ist das Gift der Gifte für Konjunktur und Wachstum. Unser Staat hat jetzt schon die höchsten Steuereinnahmen, die Deutschland jemals in der Geschichte hatte. Und zwar nicht nur in absolutenZahlen, sondern auch in Relation zur Wirtschaftsleistung.

Was wäre Ihr Alternativvorschlag?
Wir müssen akzeptieren, dass die gesetzliche Rente eine Basisversorgung ist. Ziel muss es sein, den Beitragssatz stabil zu halten. Sonst werden wir die schleichende Kündigung des Generationenvertrags erleben.

Das Rentenniveau wird also sinken?
Wenn wir dabei bleiben wollen, dass die jungen Generationen etwa ein Fünftel ihres Gehaltes für die Alten einzahlen, so wie es wir, unsere Väter und Großväter getan haben, kommen wir nicht darum herum. Im Jahr 2035 werden wir sehr viele Rentner haben. Das bei den Jungen eingezogene Fünftel wird dann für ein Rentenniveau von mehr als 40 Prozent nicht reichen. Und das nur, wenn wir das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung anpassen.

Aber lässt sich das in einer vergreisenden Demokratie durchsetzen?
Das ist ein Problem. Die Politik muss die Alten bedienen und neigt zum Populismus. Das haben die vergangenen Jahre deutlich gezeigt. Sozialminister Hubertus Heil hat die Grundsicherung für Rentner aufgestockt. Ein armer Alter wird nun besser behandelt als ein armer Junger. Seine Vorvorgängerin Andrea Nahles hat die abschlagsfreie Rente mit 63 durchgesetzt. Das ist ein Bruch des Lebensleistungsprinzips, wie man ihn sich vorher nicht hätte vorstellen können.

Welcher möglichen künftigen Koalition trauen Sie am ehesten zu, das Problem zu lösen?
Leider keiner. Denn sie müsste, auch angesichts der finanziellen Folgen der Corona-Krise, massive Einschnitte in den Sozialstaat vornehmen. Es macht ja nicht nur die SPD populistische Sozialpolitik. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Pflegeversicherung zur Fast-Vollkasko ausgebaut. Das ist nicht finanzierbar und wird die Akzeptanz des Generationenvertrags beschädigen.

Sie sprachen von dessen schleichender Kündigung. Wie geschieht das?
Durch Abwanderung der Hochqualifizierten. Das geschieht jetzt schon. Wenn Sie in der Schweiz einen Arzt konsultieren, spricht der kein Schweizerdeutsch mehr, sondern lupenreines Hochdeutsch. Auch in Norwegen oder Dänemark treffen Sie auf deutsche Ärzte. Auch der Wechsel in die Selbstständigkeit ist eine Kündigung des Generationenvertrags.


Das Gespräch führte Daniel Gräber.

Copyright Foto: Axel Griesch/Finanzen Verlag GmbH/laif


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