Fortschritte beim Umbau der Stromversorgung in Deutschland
Energiewende-Radar

Aspekt 8: Stromverbrauch

Der Stromverbrauch soll insgesamt gesenkt werden, um die Versorgungssicherheit zu verbessen und um auf die Unwägbarkeiten beim Umbau der Erzeugungsstruktur zu wirken. Aber hiervon ist Deutschland auch aufgrund zu hoch gesteckter Ziele weit entfernt.

5. November 2012

Vom Ziel gedacht

Mit der Energiewende wird sich vor allem die Stromversorgungsstruktur deutlich verändern. Bis 2022 sollen mit der Kernenergie rund 12 GW Nettoleistung vom Netz gehen. Während diese Kraftwerke durchschnittlich auf eine Arbeitsverfügbarkeit von 75 Prozent kommen, sind erneuerbare Energien nicht rund um die Uhr verfügbar und bisher auch nicht in ausreichendem Maße speicherbar.

Vor diesem Hintergrund will die Bundesregierung nicht nur bei der Erzeugung des Stroms auf Veränderung setzen, sondern auch beim Verbrauch. Die verringerte Nachfrage nach Energie ist einer der Eckpunkte im Energiekonzept. Sie soll zur Versorgungssicherheit Deutschlands beitragen und entlastend auf die Unwägbarkeiten beim Umbau der Erzeugungsstruktur wirken.

Bis 2020 wird angestrebt, den Stromverbrauch um 10 Prozent und bis 2050 um 25 Prozent zu verringern (gegenüber 2008). Der Primärenergieverbrauch soll zunächst um 20 Prozent reduziert werden und bis 2050 sogar nur noch auf der Hälfte des Niveaus von 2008 liegen.

Bei steigenden Komfortansprüchen und Wachstumsdynamiken wird vor allem darauf gesetzt, dass weniger Energie für die gleiche Menge an Energiedienstleistungen eingesetzt werden muss (Effizienz). Sollten die Einsparungen daraus nicht ausreichen, bedeuten die Reduktionsziele letztlich aber vor allem einen Rückgang der Nachfrage nach Energiedienstleistungen insgesamt (Suffizienz). 

Zielerreichung: INSM-Energiewende-Radar

Die Entwicklung des Verbrauchs von elektrischer Energie steht im Mittelpunkt dieser Kurzexpertise. Zur Messung, inwieweit die Entwicklung des Stromverbrauchs mit der Energiewende Schritt hält, wird das Ziel der Bundesregierung herangezogen, den Energieverbrauch bis 2020 um 10 Prozent zu senken. Das entspräche einer Reduktion von 4,6 Prozent gegenüber der noch im Jahr 2000 verbrauchten Strommenge. Das Jahr 2000 wurde für den Energiewende-Radar als Beginn der Energiewende festgelegt. Setzt man eine lineare Realisierung der angestrebten Reduktion voraus, müsste der Stromverbrauch im Jahr 2011 bereits um 2,5 Prozent gesunken sein. Wird dieser Wert erreicht, werden 100 Punkte der Zielerreichung vergeben. Jede prozentuale Unterschreitung wird dem Zielerreichungsgrad negativ zugeschlagen. 

Zielerreichung beim Stromverbrauch in der Energiewende 2011 Zielerreichung beim Stromverbrauch in der Energiewende 2011

Der Stromverbrauch ist im Zeitraum zwischen 2000 und 2011 nicht gesunken, sondern um 5 Prozent gestiegen. Damit wird das Ziel um (mehr als) 100 Prozent verfehlt und ein Zielerreichungsgrad von 0 Punkten ausgegeben. Damit wird angezeigt, dass keine Reduktion stattgefunden hat. Nicht abgebildet wird, dass die Entwicklung des Stromverbrauchs sogar gegenläufig ist. Er ist prozentual bis heute in etwa doppelt so stark gewachsen, wie er eigentlich hätte sinken sollen. Würde die Zielerreichung nicht auf null begrenzt werden, ergäbe sich ein negativer Zielerreichungsgrad von -198,8 Punkten. 

Erfolge und Herausforderungen

Die Versorgung mit Elektrizität ist sowohl für den privaten Verbraucher als auch für die industrielle Wertschöpfung in Deutschland von hoher Relevanz. Mit 28 bzw. 44 Prozent sind Haushalte und Industrie die größten Stromverbraucher in Deutschland. Beinahe ein Drittel des Energieverbrauchs der Industrie geht auf elektrische Energie zurück. Sie wird dabei zu fast 70 Prozent zur Erzeugung mechanischer Energie (Antriebe, Pumpen, Druckluft) genutzt. Etwa 18 Prozent entfallen auf Wärmeanwendungen, wie beispielsweise Elektrolyse- und Schmelzprozesse in der Metall- und Chemieindustrie, Prozesse, die wesentlich für die Produktion vor allem von Vorleistungsgütern sind.

In den privaten Haushalten entfallen 20 Prozent des Energieverbrauchs auf Strom. Er ermöglicht eine ganze Reihe von Anwendungen des täglichen Lebens. Am meisten Strom wird für Wärme- und Kälteanwendungen benötigt (Herde, Kühlschränke), aber auch auf Informations- und Kommunikationstechniken entfallen rund 17 Prozent des Stroms. Außerdem wird Strom zur Warmwassererzeugung und Raumwärmeerzeugung in Nachtspeicherheizungen verwendet. Der Anteil für die Beleuchtung macht etwa 8 bis 9 Prozent aus. Kurzum: Strom ist ein wichtiger Grundpfeiler der Lebensqualität und des Wirtschaftens. Die Bedeutung von Strom nimmt tendenziell zu, gleichzeitig ist er als Energieträger nur begrenzt substituierbar. 

Anteil unterschiedlicher Energieträger am Energieverbrauch der privaten Haushalte und der Industrie, 2010 Anteil unterschiedlicher Energieträger am Energieverbrauch der privaten Haushalte und der Industrie, 2010 - Angaben in Prozent
Stromverbrauch nach Anwendungszwecken der Industrie und der privaten Haushalte, 2010 Stromverbrauch nach Anwendungszwecken der Industrie und der privaten Haushalte, 2010 - Angaben in Prozent

Anders als der Primärenergieverbrauch konnte der Verbrauch von Strom in den letzten Jahren nicht so stark vom Wirtschaftswachstum entkoppelt werden. Fortschritte bei der Effizienz wurden durch Wachstums- oder andere Mehrverbrauchsimpulse überkompensiert. Abgesehen vom Krisenjahr 2009 ist der Stromverbrauch seit 1995 stetig gestiegen, bis 2010 etwa um 13 Prozent. Auch im Energiemix ist Strom bedeutsamer geworden. Der Anteil elektrischer Energie ist von etwa 17,7 Prozent 1995 auf 20,5 Prozent im Jahr 2010 gestiegen.

Die Ziele der Bundesregierung überschätzen den verbrauchsenkenden Effekt, der von der Entwicklung energieeffizienter Technologien und deren breiten Anwendung ausgeht. Gerade beim Stromverbrauch dürften Effizienzsteigerungen auch weiterhin nur einen Teil wirtschaftlicher Wachstumsprozesse kompensieren. So ist in einigen Bereichen wie Verkehr oder Wärmeerzeugung durch die zunehmende Bedeutung beispielsweise der Elektromobilität oder von Wärmepumpen ein zusätzlicher Einsatz von elektrischer Energie zu erwarten.

Eine Reihe von wissenschaftlichen Analysen prognostiziert ebenfalls einen gleichbleibenden oder moderat ansteigenden Stromverbrauch. Auch in dem Szenariorahmen, den die Bundesnetzagentur dem aktuellen NEP zugrunde legt, wird vorsichtshalber von einem gleichbleibenden Stromverbrauch ausgegangen. 

Entwicklung des Stromverbrauchs in Deutschland 1995-2010 Entwicklung des Stromverbrauchs in Deutschland 1995-2010 - einschließlich Netzverluste und Eigenverbrauch der Kraftwerke

Dass der Primärenergieverbrauch stärker sinkt als der Stromverbrauch hat auch mit einem statistischen Effekt zu tun, der sich aus dem Rückgang der Kernenergie sowie der gestiegenen Nutzung der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung ergibt. Er entsteht aufgrund internationaler Konventionen bei der Bilanzierung von Energieträgern nach der sog. Wirkungsgradmethode. Da Kernenergie keinen natürlichen Heizwert besitzt, wird der Wirkungsgrad der Anlagen auf 33 Prozent festgelegt. In der Folge geht jede KWh Stromerzeugung aus Kernenergie etwa mit dem Faktor 3 in den Primärenergieverbrauch ein. Bei erneuerbaren Energien wird hingegen ein Wirkungsgrad von 100 Prozent angenommen. Bei einem Ersatz von Kernkraft durch Erneuerbare ergibt sich damit rein rechnerisch ein geringer Primärenergieverbrauch. Dasselbe gilt auch bei dem Ersatz durch importierten Strom.

Würde der 2010 aus den inländischen Kernkraftwerken erzeugte Strom durch EE-Strom oder Importstrom ersetzt, ergibt sich rechnerisch eine Reduzierung des Energieeinsatzes in Höhe von 1.027,3 PJ. Das entspricht einem Anteil von gut 7,3 Prozent am gesamten inländischen Energieverbrauch im Jahre 2010. Bezogen auf das für die Ziele der Bundesregierung maßgebliche Jahr 2008 würde so alleine durch die bis 2020 geplanten Stilllegungen von Kernkraftwerken eine Minderung von 4,6 Prozent erzielt. Das Ziel der Bundesregierung, den Primärenergieverbrauch um 20 Prozent bis 2020 zu senken, wäre schon gut zu einem Fünftel durch den Kernenergieausstieg erreicht. Und zwar auch, wenn der Strom nicht regenerativ erzeugt, sondern importiert würde. Zudem bewirken zunehmend mildere Temperaturen, dass weniger Energie verbraucht wurde, obwohl sich am Verhalten der Verbraucher selbst wenig ändert.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Strom für die Energieversorgung und die Verbrauchsentwicklung der letzten Jahre steht zu befürchten, dass die Ziele der Bundesregierung nicht erreicht werden. Wird an den Vorgaben festgehalten, wären diese nur noch durch das Nicht-In-Anspruch-nehmen von Energiedienstleistungen zu erreichen.
Eine Strategie der Suffizienz, die letztlich auf eine Veränderung von Bedürfnissen und Lebensstilen zielt, ist jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch:

  • Eine politisch erzwungene Änderung des Verbraucherverhaltens steht im Widerspruch zu einer freiheitlich marktwirtschaftlich gestalteten Ordnung. Ausgehend von Präferenzen richten Individuen ihre Nachfrage nach Knappheitssignalen aus. Es ist Aufgabe der Politik, die wettbewerbliche Ordnung zu gestalten, nicht aber, den Akteuren ihre Bedürfnisse vorzugeben.
  • Eine Strategie der Stromsuffizienz steht im Konflikt zu Wachstums- und Wohlstandsansprüchen. Der Verzicht auf bestimmte Energiedienstleistungen nimmt implizit weniger Produktion und Konsum, stagnierendes oder leicht schrumpfendes Wirtschaftswachstum und folglich sinkende Staatseinnahmen in Kauf. Ohne die Ermöglichung von Wachstumsprozessen können die Mittel, die zur Bewältigung der intendierten Transformationsprozesse notwendig sind, kaum aufgewandt werden.
  • Eine einheitliche Vorgabe des Stromsparens ist auch mit sozialen Ungleichgewichten verbunden. Nicht jeder Haushalt ist in der Lage, seine Nachfrage nach Energiedienstleistungen einzuschränken oder optimal zu gestalten. Während ärmere Haushalte ihren ohnehin niedrigen Verbrauch und damit Grundbedürfnisse einschränken müssen, fällt es wohlhabenderen Haushalten leichter, ihren tendenziell größeren Konsum von Energiedienstleistungen einzuschränken. Ihnen stehen außerdem mehr Möglichkeiten der Substitution zur Verfügung. 

Die wichtigsten politischen Entwicklungen

Zur politischen Durchsetzung des Verzichts auf eine bestimmte Menge an Energie stehen dem Staat hauptsächlich zwei Mittel zur Verfügung: Eine direkte und absolute Begrenzung der Mengen oder aber eine indirekte Preissteuerung. Der europäische Emissionshandel, der auf eine Mengenbegrenzung der ausgestoßenen Menge an CO2 setzt, ist bereits ein Instrument der Verbrauchsminderung – wenn auch nur bezogen auf den Verbrauch fossiler Energieträger. Auch indem der Staatsanteil im Strompreis stetig ansteigt, wirkt die Politik indirekt auf das Verbraucherverhalten ein.

Tatsächlich wird also implizit bereits eine Politik der Konsumbegrenzung verfolgt. Explizit wird derzeit allerdings die Realisierung von Effizienzpotenzialen in den Vordergrund gestellt, beispielsweise durch eine Reihe von produktbezogenen Verbraucherinformationen und Standards, die den umweltverträglichsten bzw. ressourcen- oder energieeffizientesten Technologien zur Marktdurchdringung verhelfen sollen. Mit einem energieeffizienteren Kühlschrank wird jedoch nicht auf die Energiedienstleistung an sich verzichtet. 

Fazit und weiterer Handlungsbedarf

Das Ziel, den Stromverbrauch bis 2020 deutlich zu senken, wird aller Voraussicht nach verfehlt. Zu bedeutsam ist Elektrizität für die Lebensqualität des Einzelnen und die Produktion industrieller Güter. Mit einer Politik, die auf Ge- und Verbote des Energiekonsums setzt, würden wesentliche marktwirtschaftliche Prinzipien in Frage gestellt und vor allem Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten gebremst. Damit würde die Grundlage des zukünftigen Wohlstands und des notwendigen Investitionsbedarfs der Energiewende gefährdet.

Vor dem Hintergrund ökologischer Belastungsgrenzen und intergenerationeller Gerechtigkeit ist es jedoch richtig, die Notwendigkeit von Verhaltensänderungen zu diskutieren. Das können zunächst auch Änderungen sein, die ohne viel Aufwand zu erreichen sind. Möglicherweis würde zukünftig auch ein deutlich stärkerer Verzicht auf Energiedienstleistungen präferiert werden. Diesen Wandel darf Politik aber nicht erzwingen. Sie sollte sich auf das Schaffen von Möglichkeitsräumen beschränken, beispielswiese indem sie Informationen über die Möglichkeiten des Energiesparens anbietet oder auch indem sie den gesellschaftlichen Dialog über die Frage, was Wohlstand eigentlich bedeutet, aufrechterhält.

Eine Politik des Verzichts oder der Änderung von Bedürfnissen dürfte kurzfristig nicht gesellschaftlich zustimmungsfähig sein. Verbrauchsenkende Effekte müssen daher vor allem von einem effizienteren Einsatz von Energie ausgehen. Die Frage, woher darüber nicht zu realisierende Einsparungen kommen sollen, bleibt bisher unbeantwortet. Bei den immensen Investitionen, die für den Umbau der Stromversorgung notwendig sind, muss heute mit realistischen Zielen geplant und diese Zieldimension deshalb überdacht werden.