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Sozialversicherung

Studie: Anstieg der Beitragssätze bis 2040 auf 46 Prozent

Wenn die Politik nicht gegensteuert, steigen Sozialversicherungsbeiträge bis 2040 auf 46 Prozent. Das prognostiziert das Forschungsunternehmen Prognos um die Wissenschaftler Gwendolyn Huschik, Oliver Ehrentraut und Jan Limbers. Im Folgenden lesen Sie deren Analyse der prognostizierten Entwicklung der einzelnen Sozialversicherungen.

19. Mai 2021

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In diesem und dem nachfolgenden Jahrzehnt, in welchen die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er- und 1960er-Jahre sukzessive das Rentenalter erreichen werden, wird der demografische Wandel in Deutschland deutlich an Dynamik gewinnen. Die mit der demografischen Alterung verbundene Zunahme an Leistungsbezieherinnen und -beziehern in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) wird die umlagefinanzierten Sozialversicherungen zunehmend unter Finanzierungsdruck setzen. Daneben sorgen bereits heute diverse Reformen, die in den vergangenen Jahren im Lichte positiver Beschäftigungs- und Einnahmeentwicklungen beschlossen wurden, für zusätzliche finanzielle Anspannungen.

Das vorliegende Factsheet zeigt vor diesem Hintergrund auf, wie sich der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz im gesetzlichen Status quo bis zum Jahr 2040 entwickelt. Neben den von der demografischen Alterung besonders betroffenen Sozialversicherungszweigen – GRV, GKV und SPV – wird auch die Arbeitslosenversicherung (ALV) betrachtet. Zudem werden die Auswirkungen der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise auf den Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz und die Konsequenzen seiner hypothetischen Stabilisierung bei maximal 40 Prozent für den Bundeshaushalt quantifiziert.

1. Der demografische Rahmen

Die Finanzierung der Sozialversicherungen hängt vor allem von der demografischen und der ökonomischen Entwicklung ab. Charakteristisch für die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist die demografische Alterung. Infolge der Baby-Booms der 1950er- und 1960er-Jahre, des Geburteneinbruchs in den 1970er-Jahren und der zunehmenden Lebenserwartung stehen in Deutschland immer mehr älteren immer weniger jüngere Menschen gegenüber.

Den Ergebnissen der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zufolge werden im Jahr 2040 rund 33 Prozent mehr über 66-Jährige und rund 11 Prozent weniger 20- bis 66-Jährige in Deutschland leben als im Jahr 2019. Die rechnerische Anzahl der 20- bis 66-Jährigen je einer bzw. einem über 66-Jährigen reduziert sich damit von 3,2 im Jahr 2019 auf 2,1 im Jahr 2040.

Die langfristigen Folgen der Corona-Pandemie für die demografische Entwicklung sind zum aktuellen Zeitpunkt nur teilweise absehbar. So hat die Pandemie im vergangenen Jahr zwar zu einer erhöhten Sterblichkeit unter älteren Menschen in Deutschland geführt, nach dem Abklingen der Pandemie dürfte diese mittelfristig allerdings wieder auf ihr Ausgangsniveau absinken. Da sich die in Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung erfassten Todesfälle auf die höheren Altersgruppen konzentrieren, ist nicht zu erwarten, dass sich diese langfristig signifikant auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland auswirken werden.

Auswirkungen der Krise auf die Entwicklung der Geburten sind zum aktuellen Zeitpunkt nicht feststellbar. Grund hierfür ist, dass verlässliche Geburtendaten für die zurückliegenden Monate bislang nicht vorliegen. Amtliche Daten aus Frankreich und anderen europäischen Ländern sowie deutschlandspezifische Befragungsergebnisse aus dem Frühjahr 2020 weisen auf einen eher dämpfenden Effekt hin. Hierfür sprechen auch wissenschaftliche Studienergebnisse zu den Auswirkungen von Wirtschaftskrisen auf die Geburtenrate. Die zukünftige Geburtenentwicklung in Deutschland dürfte vor diesem Hintergrund auch vom weiteren Verlauf der Pandemie und der damit verbundenen wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Eine anhaltende Hemmung der Familienplanung und eine dadurch bedingte Verstärkung des Abwärtstrends bei den Geburten sind dabei nicht auszuschließen.

Die Wanderungsbewegungen von und nach Deutschland wurden durch die Pandemie und die damit einhergehenden Reisebeschränkungen spürbar gedämpft. Für das Gesamtjahr 2020 wird mit einem um 25 bis 45 Prozent niedrigeren Wanderungssaldo als im Jahr 2019 gerechnet. In welchem Maße die Bevölkerungsentwicklung hierdurch langfristig beeinflusst wird, hängt vor allem davon ab, ob die unterbliebenen Wanderungen zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.

2. Der wirtschaftliche Rahmen

Die zukünftige volkswirtschaftliche Entwicklung ist aufgrund der außergewöhnlichen Situation von hoher Unsicherheit geprägt und hängt insbesondere vom Ausgang des Wettlaufs zwischen Impfungen und Virusvarianten ab. In unserer aktuellen Konjunkturprognose gehen wir davon aus, dass sich die pandemische Situation ab dem Sommer 2021 sukzessive entspannt und bestehende Einschränkungen zurückgefahren werden. Für das Gesamtjahr 2021 erwarten wir eine Zunahme der Wirtschaftsleistung um 3,5 Prozent. Das Vorkrisenniveau des Bruttoinlandprodukts von 2019 wird erst zur Jahresmitte 2022 wieder erreicht. Für den gesamten Betrachtungszeitraum bis 2040 erwarten wir ein (reales) Wirtschaftswachstum in Höhe von durchschnittlich 1,5 Prozent pro Jahr.

Das Arbeitsvolumen steigt in den nächsten Jahren noch geringfügig an und liegt in 2040 in etwa wieder auf dem Vorkrisenniveau – der Rückgang der Personen im erwerbsfähigen Alter wird ein Stück weit durch einen moderaten Anstieg der Arbeitszeit insbesondere im Bereich der Teilzeitbeschäftigung kompensiert. Die gesamtwirtschaftliche Preissteigerungsrate liegt bei 2,1 Prozent pro Jahr und die Bruttolohn- und Gehaltssumme – eine zentrale Bezugsgröße für die sozialen Sicherungssysteme – wächst mit durchschnittlich 3,6 Prozent pro Jahr.

3. Beitragsentwicklung im Zeitvergleich

Da die Beitragssätze der Sozialversicherungen jeweils im Vorjahr gesetzlich festgelegt werden, waren sie im Jahr 2020 nicht von der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise betroffen. Sie beliefen sich in der GRV auf 18,6 Prozent, in der GKV auf 15,7 Prozent (inkl. durchschnittlichem Zusatzbeitrag in Höhe von 1,1 Prozent), in der SPV auf 3,05 Prozent (ohne Beitragszuschlag für Kinderlose) und in der ALV auf 2,4 Prozent. Der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz belief sich damit auf 39,75 Prozent.

In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden die meisten Beitragssätze vor allem aus demografischen Gründen deutlich steigen. Im gesetzlichen Status quo ergeben sich unter den gesetzten Annahmen zur demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung bis zum Jahr 2040 Anstiege auf 23,5 Prozent in der GRV, 17,4 Prozent in der GKV und 3,7 Prozent in der SPV. Der demografisch bedingte Rückgang der Erwerbslosen ermöglicht dagegen ein Absinken des Beitragssatzes in der ALV auf 1,5 Prozent. Der für das Jahr 2040 resultierende Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz in Höhe von 46,0 Prozent liegt demnach rund 6,3 Prozentpunkte über dem Ausgangsniveau im Jahr 2020.

4. Auswirkungen der Pandemie

Die dämpfenden Effekte der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Beschäftigung führen dazu, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz im Jahr 2040 um rund 1,2 Prozentpunkte höher ausfällt als in einem kontrafaktischen Szenario ohne Pandemie. Der Zuwachs konzentriert sich dabei auf die GRV. Hier zeigt sich, dass eine Verkettung von Sonderregelungen, einschließlich der Rentengarantie und des bis Mitte 2026 ausgesetzten Nachholfaktors, einen dauerhaften Anstieg von Rentenniveau und Beitragssatz nach sich zieht. Im Ergebnis liegt der Beitragssatz in der GRV im Jahr 2040 um 0,6 Prozentpunkte höher.

In der ALV resultieren geringfügig höhere Beitragssätze (+0,2 Prozentpunkte) als Folge der kurz- und mittelfristig höheren Erwerbslosigkeit. Auch in der GKV und SPV liegen die Beitragssätze aufgrund der ungünstigeren Entwicklung der Bruttolohn-/Bruttogehaltssumme geringfügig über den Werten des kontrafaktischen Szenarios ohne Corona.

Einschub: Rentengarantie und Nachholfaktor

Börsch-Supan/Rausch (2020) haben bereits auf einen Effekt des aktuell geltenden Rentenrechts hingewiesen, der zu dauerhaft höheren Ausgaben in der GRV führt. Die im Rahmen der letzten großen Wirtschaftskrise – der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 – eingeführte Rentengarantie bedingt bei sinkenden Jahreslöhnen bzw. -gehältern ein steigendes Sicherungsniveau in der GRV. Die Rentenempfängerinnen und -empfänger sind damit (zunächst) weniger von den Folgen einer Wirtschaftskrise betroffen als die Erwerbsbevölkerung. Eigentlich würde der zusammen mit der Rentengarantie eingeführte Nachholfaktor für einen mittelfristigen Ausgleich der Belastungen der Beitragszahlerinnen und -zahler sorgen. Der Nachholfaktor wurde jedoch im Zuge des Rentenpaktes 2019 bis Mitte 2026 ausgesetzt. Dies hat zur Folge, dass das Sicherungsniveau gesetzlicher Renten nach 2025 dauerhaft erhöht bleibt und dadurch entsprechende Mehrausgaben resultieren.

5. Sicherung der 40-Prozent-Marke

Die Corona-Pandemie führte im vergangenen Jahr zu höheren Ausgaben in der gesetzlichen Sozialversicherung. Zur Verhinderung einer dadurch bedingten Steigerung der Lohnnebenkosten beschloss die Bundesregierung im Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket, die Sozialversicherungsbeiträge auch im Jahr 2021 bei maximal 40 Prozent zu stabilisieren und darüber hinausgehende Finanzierungsbedarfe aus dem Bundeshaushalt zu decken. Im Ergebnis beläuft sich der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz derzeit auf 39,95 Prozent.

Im gesetzlichen Status quo sind für eine hypothetische Stabilisierung des Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes bei 40 Prozent im Zeitverlauf steigende Zuschüsse des Bundes aus Steuermitteln erforderlich. Allein für das Jahr 2040 ergibt sich bei konstanten Beitragssätzen eine Finanzierungslücke in Höhe von 173 Milliarden Euro (114 Milliarden Euro in heutigen Preisen). Dies entspricht ca. 5 Prozent der gesamten Staatsausgaben in diesem Jahr. Ergänzt man diese hypothetische Finanzierungslücke um die tatsächlich gezahlten Transfers des Staates an die Sozialversicherungen, so belaufen sich diese Gesamtausgaben auf 495 Milliarden Euro (deflationiert 325 Milliarden Euro bzw. 14 Prozent der Staatsausgaben) im Jahre 2040.

Quellenverzeichnis

Börsch-Supan, Axel/Rausch, Johannes (2020): Corona-Pandemie: Auswirkungen auf die gesetzliche Rentenversicherung. ifo Schnelldienst Bd. 73, Heft 4/2020. S. 36-43.

Goldstein, Joshua/Kreyenfeld, Michaela/Jasilioniene, Aiva/Karaman Örsal, Deniz (2013): Fertility reactions to the "Great Recession" in Europe: Recent evidence from order-specific data. Demographic Research 29. S. 85-104.

Insee – Institut national de la statistique et des études économiques (2021): Demographic indicators. (abgerufen am 12.03.2021).

Kochskämper, Susanna (2020): Auswirkungen des Rentenpaktes in der Wirtschaftskrise. Simulation mit dem Generationencheck. IW-Gutachten im Auftrag der INSM – Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. (abgerufen am 12.03.2021).

Luppi, Francesca/Arpino, Bruno/Rosina, Alessandro (2020): The impact of COVID-19 on fertility plans in Italy, Germany, France, Spain and UK (abgerufen am 12.03.2021).

Ragnitz, Joachim (2021): Hat die Corona-Pandemie zu einer Übersterblichkeit in Deutschland geführt? ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. (abgerufen am 12.03.2021).

RKI – Robert-Koch-Institut (2021): COVID-19 Todesfälle nach Sterbedatum (abgerufen am 12.03.2021).

StBA – Statistisches Bundesamt (2019): Ergebnisse der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung.

StBA – Statistisches Bundesamt (2021a): Fortschreibung des Bevölkerungsstands.

StBA – Statistisches Bundesamt (2021b): 2020 voraussichtlich kein Bevölkerungswachstum. Pressemitteilung Nr. 016 vom 12. Januar 2021 (abgerufen am 12.03.2021).

StBA – Statistisches Bundesamt (2021c): Öffentliche Ausgaben in den ersten drei Quartalen 2020 um 11,6 % höher, Einnahmen um 4,3 % niedriger als im Vorjahr. Pressemitteilung Nr. 005 vom 6. Januar 2021 (abgerufen am 12.03.2021).