Soziales
Standpunkt

Damit wir uns die Pflege noch leisten können

In der Pflegeversicherung rollt eine Kostenlawine auf uns zu. Steigende Beiträge belasten schon heute die Beschäftigung. In einem Gastbeitrag im Handelsblatt fordert Hubertus Pellengahr eine umfassende Reform der Pflegeversicherung.

5. Oktober 2011

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Schulden, Schulden, Schulden - kein anderes Thema bewegt die öffentliche Debatte derzeit mehr als die Defizite der europäischen Staaten. Zugegeben: Deutschland steht im Vergleich zu anderen europäischen Staaten einigermaßen gut da. Aber auch unsere Schulden entsprechen etwa 80 Prozent unserer jährlichen Wirtschaftsleistung. Doch das ist längst nicht alles. Rechnet man die Leistungsversprechungen aus Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung hinzu, klafft eine Lücke von 268 Prozent, wir haben einen großen Teil unserer Zukunft verpfändet.

Während die Ausgabendynamik in der Renten- und Krankenversicherung entschleunigt und die Nachhaltigkeitslücke verkleinert wurde, besteht in der Pflegeversicherung erheblicher Reformbedarf. Die Zahl der Pflegefälle wird sich bis zum Jahr 2050 von heute 2,3 Millionen auf etwa 4,5 Millionen fast verdoppeln. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Beitragszahler ab. In einem umlagefinanzierten System verheißt das für die Beitragszahler der Zukunft nichts Gutes. Die Alterung der Gesellschaft lässt auf der einen Seite die Einnahmen schmelzen, auf der anderen Seite steigen die Ausgaben. Der Beitragssatz müsste bis zum Jahr 2050 auf 4,5 Prozent steigen, sofern keine Einschnitte bei den Leistungen vorgenommen werden. Die heute 30-Jährigen müssen sogar mit einer negativen Rendite rechnen. So untergraben die steigenden Beiträge zunehmend die Akzeptanz des Generationenvertrags.

Will man den demografischen Druck aus der Pflegeversicherung nehmen, kommen wir um eine stärkere private Eigenvorsorge nicht herum. Für den Einzelnen bedeutet dies, dass er wie bei der Rente eine eigene, kapitalgedeckte Zusatzvorsorge leisten muss. Für die Regierung bedeutet dies, dass sie dafür jetzt den Weg ebnen muss. Kapitalgedeckte Systeme ermöglichen eine nachhaltige Finanzierung ohne Belastung der zukünftigen Generationen. Die Pflegeversicherung in der heutigen Form hat aber noch ein zweites Problem. Steigende lohnabhängige Prämien belasten zunehmend die Beschäftigung. Hinzu kommt: Allein bei der Finanzierung der Pflegeversicherung werden jährlich rund drei Milliarden Euro unsystematisch zwischen den Einkommensgruppen verschoben. Löhne allein sind kein geeigneter Anhaltspunkt für die individuelle Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Das politisch gewollte Ziel der Umverteilung verstellt den Blick auf das wesentliche Problem, nämlich die Finanzierung des drastisch steigenden Pflegebedarfs.

Keine Frage: Sozialer Ausgleich ist zentraler Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft. Mit den meisten Ökonomen sind wir uns einig, dass das Steuersystem eine weitaus bessere Plattform für Umverteilung bietet als die Sozialkassen. Durch einen progressiven Steuertarif und durch die Besteuerung aller Einkommensarten kann im Steuersystem gezielter und gerechter umverteilt werden. Was wir also brauchen: Die Loslösung vom einkommensabhängigen hin zu pauschalen Prämien. Nach Berechnungen des Forschungszentrums Generationenverträge läge eine einheitliche Pflegeprämie derzeit bei 20 bis 25 Euro im Monat.

Doch auch auf der Ausgabenseite besteht Reformbedarf. Um künftigen Beitragserhöhungen entgegenzuwirken, müssen Kostenbremsen eingebaut werden. Reformmodelle liegen auf dem Tisch: Karenzzeiten, Einfriermodelle und Streichung der Pflegestufe 1. Die Alterung der Gesellschaft kostet. Pflege ist teuer und wird noch teurer. Eine umlagefmanzierte Pflegeversicherung kann das nicht schultern. Noch ist Zeit, um das System zu reformieren.

Dieser Beitrag ist am 06. Oktober als Gastbeitrag im Handelsblatt erschienen.

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