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Unternehmen Zukunft

Innovation braucht Produktion

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Innovation braucht Produktion

Zuversicht oder Abstiegsangst? Wie deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer auf ihre Heimat blicken. Den Beitrag verfasste Sabine Baur.

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Man müsse einen langen Atem haben, meint Geschäftsführerin Natalie Kühn. Acht Jahre Prüfzeit hat es gebraucht, bis die SK-Elektronik GmbH endlich die Zulassung für ihre neue Produktreihe erhielt. Die Flammenionisationsdetektoren (FID) von SK dienen der Emissionsüberwachung von Kohlenwasserstoffen.

Verbrennungsanlagen, Chemieunternehmen, Automobilindustrie – diese Geräte sind überall da Pflicht, wo kontinuierlich emittiert wird. Das mit 44 Beschäftigten vergleichsweise kleine Unternehmen aus Leverkusen hat sich in dieser Nische die Weltmarktführung erobert, gut 60 Prozent gehen in den Export. Seine gut vier Millionen Umsatz macht SK neben der FID- und Analysetechnik mit Leistungselektronik, Mess- und Regeltechnik sowie mit einem für die Gebäudesanierung entwickelten Luftfilter. In der Breite der Entwicklungen liegt für die Firmenchefin der Erfolg. Ihr Vater, ehemaliger Ingenieur bei Bayer, hat das Unternehmen 1980 für die gegründet: „Er war der klassische Entwickler und Macher. Ein Denkergeist, der nie nur am kaufmännischen Erfolg hing.“ Doch die Rahmenbedingungen haben sich seit den achtziger Jahren deutlich verändert. Nicht jedes Unternehmen nimmt eine achtjährige Produktprüfung in Kauf oder kann sich das leisten. Immer mehr Regulierungen und Bürokratie machen vor allem mittelständischen Unternehmen zu schaffen.

Das sieht auch Marco Thiele, gut 430 Kilometer weiter östlich, als Problem. Er versteht daher, weshalb sich Investoren und Firmengründer die Standortfrage sehr genau überlegen. Sein Familienunternehmen in Halle führt er in dritter Generation. Die Kathi Rainer Thiele GmbH feiert dieses Jahr ihr 70. Jubiläum und blickt auf eine bewegte Historie zurück. Nach dem Krieg haben die Großeltern das Unternehmen gegründet und 1951 die allererste Backmischung in Deutschland auf den Markt gebracht – zwei Jahrzehnte vor Dr.Oetker.

Der Wirtschaftsaufschwung ließ Kathi schnell wachsen, doch dann gab es in der DDR immer mehr staatliche Regulierungen und schließlich 1972 die komplette Enteignung. Nur der Markenname Kathi blieb patentrechtlich geschützt. „Meine Großeltern waren felsenfest davon überzeugt, dass es die DDR im Jahr 2000 nur noch im Geschichtsbuch gibt. Deshalb haben sie die Patentgebühr für Kathi auch nach der Enteignung weitergezahlt“, erinnert sich der heutige Geschäftsführer daran, wie seine Großmutter noch auf dem Sterbebett seinem Vater das Versprechen abgerungen hatte, die Firma in die Familie zurückzuholen – ein halbes Jahr vor der Wende.

Heute ist die Firma Kathi mit ihren Produkten im ostdeutschen Markt die Nummer eins, deutschlandweit nach Dr. Oetker immerhin auf Rang zwei. Das Unternehmen mit seinen 90 Beschäftigten macht knapp 30 Millionen Umsatz. „Immer nach vorne schauen“ ist die Unternehmensphilosophie, Marco Thiele hat sie vom Vater und Großvater übernommen. Doch eines beschäftigt ihn: „Die Bürokratie wird immer schlimmer. Ich bin ein positiv denkender Mensch, aber hier habe ich fast den Glauben aufgegeben, dass sich etwas verbessert.“

Immer mehr und strengere Auflagen sind für Thiele ebenso ein Problem wie steigende Abgaben. Es sei problematisch für den Wettbewerb, wenn einerseits Europa immer mehr zusammenwachse und Deutschland andererseits überall immer mehr mache. Trotz dieser Hemmnisse bleibt der Firmenchef von der wirtschaftlichen Stärke des Landes überzeugt.

Kathi hat seit Beginn der Corona-Pandemie einen Boom erlebt, den Thiele darauf zurückführt, dass die Menschen auf Bekanntes vertraut haben. „Wir sollten uns auf unsere Stärken besinnen und uns nicht mit Billiglohnländern vergleichen“, fordert er. Deutschland habe tolles Personal, gutes Handwerk und erfolgreiche Innovationen.

500 Kilometer weiter südlich im schwäbischen Reutlingen sieht Martin Drasch das ähnlich. Die Manz AG, deren Vorstandsvorsitzender er ist, hat gerade erst die Zusage für rund 70 Millionen Euro im Rahmen eines europäischen Förderprojekts erhalten. Die Firmengruppe ist ein Anlagen- und Maschinenbauer, der sich auf die Bereiche Fotovoltaik, Elektronik und seit 2009 verstärkt auf die Lithium-Ionen-Batterie konzentriert hat – allesamt Zukunftstechnologien.

Dieter Manz hat das Unternehmen 1987 gegründet, um Automatisierung voranzutreiben. Den Spirit eines Start-ups habe man sich zumindest in Teilen immer erhalten, nur dass man jetzt auch die nötige Manpower habe, um große Anlagen zu bauen, so Drasch. Die Manz AG hat heute rund 1400 Beschäftigte, 450 davon am Reutlinger Stammsitz. Hinzu kommen Standorte in Italien, Ungarn, der Slowakei, China und Taiwan. Jahresumsatz: 237 Millionen Euro.

Beim EU-Projekt „European Battery Innovation“ ist es eines von 42 geförderten Unternehmen, elf kommen aus Deutschland. Manz fällt als einzigem Maschinenbauer eine zentrale Rolle zu. Der Aufbau einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Batterieindustrie innerhalb Europas ist das Ziel. Es geht um Innovation und um Arbeitsplätze. „Es ist toll, wenn wir die Dinge bei uns entwickeln, aber wir müssen sie dann auch in die Produktion bringen und eine Wertschöpfung hier für die Menschen generieren“, sagt Drasch und warnt:

„Innovation schläft irgendwann ein, wenn Forschung und Produktion voneinander getrennt werden. Wir brauchen die Rückkopplung.“

Eine andere Entwicklung beobachtet man bei der Manz AG als Mitglied im Brennstoffzellen-Cluster Baden-Württemberg. Für Drasch stellt sich die Frage, wann es strategisch wichtig wird, auch in die Wasserstofftechnologie zu investieren: „Man kann nicht immer nur auf einem Bein stehen, Wachstumsmärkte verschieben sich.“ Das Unternehmen plant in Reutlingen mit 50 Beschäftigten zu wachsen und investiert sechsstellig in seine Personalkampagne. Vor allem regional soll rekrutiert werden.

Unabhängig von Standort, Branche und Unternehmensgröße haben SK-Elektronik, die Kathi Rainer Thiele GmbH und die Manz AG eines gemeinsam: Alle drei Unternehmen sind engagierte Ausbildungsbetriebe und für alle drei ist es schwieriger geworden, geeigneten Nachwuchs zu finden. „Das Bildungssystem hat sich verändert. Neben dem erforderlichen Leistungsniveau machen wir die Erfahrung, dass die jungen Menschen nicht mehr so eigenständig sind“, stellt Natalie Kühn fest.

In der Saale-Region bekommt die Firma Kathi aufgrund ihrer Bekanntheit ausreichend Bewerbungen, aber der Aufwand für die Betreuung der Auszubildenden habe stark zugenommen.

„Früher lagen die Messlatten bei Bildungsabschlüssen höher. Auf Dauer kann das nicht gut gehen“
– Marco Thiele

In Sachen Klimaschutz fordert er mehr Transparenz und Konsequenz: „Klar, wir müssen etwas tun. Aber ich sehe die Gefahr, dass wir in Deutschland eine Oase aufbauen. Wenn wir von Europa reden, dann müssen wir auch gemeinsam handeln. Und es muss offen gesagt werden, dass es teurer wird.“

Vielleicht wäre sie als junger Mensch auch bei Fridays for Future aktiv, sagt die Leverkusener Firmenchefin Natalie Kühn. Heute mahnt sie: „Es gibt idealisierte Vorstellungen. Zwischen dem, was wir an Strom brauchen, und dem, was wir derzeit leisten können, haben wir eine Diskrepanz.“

Kühns Wunsch lautet daher:

„Mindestens die Hälfte der Klima-Aktivisten sollten Entwicklungsingenieure werden und an neuen Konzepten für Energieversorgung und Klimaschutz arbeiten.“


Den Beitrag verfasste Sabine Baur.

Foto 1: Natalie Kühn ist Geschäftsführerin der Firma SK-Elektronik Leverkusen. Mit 44 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stellt sie Messgeräte für Industriekunden weltweit her.
Foto 2: Marco Thiele ist Geschäftsführer des ostdeutschen Backpioniers Kathi. In der DDR wurde das Familienunternehmen zwangsverstaatlicht. Doch Thieles Großeltern gaben nicht auf.
Foto 3: Martin Drasch ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender der Manz AG in Reutlingen. Das börsennotierte Unternehmen entwickelt Spezialmaschinen für Autobatterien und Brennstoffzellen.

Copyright der Bilder: Verena Müller


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