Soziale Marktwirtschaft
Nachruf auf Hans Tietmeyer

Ein Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft

"Sozial ist, wer durch eigene Leistung zum Wohlstand für alle beiträgt.“ So lautete eine der Grundprinzipien von Hans Tietmeyer, der Staatssekretär, Bundesbankpräsident und Vorsitzender des Kuratoriums der INSM war. Ein Nachruf auf ein bewegendes Leben von Carsten Seim.

zur PressemeldungAbschiedsrede Hans Tietmeyer

Prof. Hans Tietmeyer (1931-2016)

„Wirklich soziale Politik ist immer auch Politik, die zur Eigeninitiative anregt.“ Das erklärte Professor Hans Tietmeyer am 12. Oktober 2000 im Großen Saal der Bundespressekonferenz in Berlin zur Vorstellung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Gut ein Jahr nach seinem Ausscheiden als Präsident der deutschen Bundesbank hatte Tietmeyer damit seinen ersten öffentlichen Auftritt als Kuratoriumsvorsitzender dieser von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie ins Leben gerufenen Initiative.

In dieser Antrittsrede schlug er, wie in vielen späteren Debattenbeiträgen und Aufsätzen, den Bogen zu Ludwig Erhard, in dessen Ministerium Tietmeyer 1962 seine berufliche Karriere als Referent begonnen hatte – und zwar mit diesem Zitat des Vaters der Sozialen Marktwirtschaft: „Das mir vorschwebende Ideal beruht auf der Stärke, dass der Einzelne sagen kann: Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal verantwortlich sein."

Der Satz stammt aus dem Jahr 1958, dem Jahr, in dem Tietmeyer selbst sein Examen als Volkswirt ablegte – bei Alfred Müller-Armack, der den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ geprägt hat.

„Die neue Soziale Marktwirtschaft“, erklärte Tietmeyer weiter, sei „keine andere Soziale Marktwirtschaft“. Es gehe vielmehr darum, sich auf die „Grundprinzipien Ludwig Erhards zu besinnen“ und die Soziale Marktwirtschaft „freizulegen unter all dem Ballast, der sich in den vergangenen Jahren angesammelt hat“.

Dann breitete der frühere Bundesbankpräsident und Staatssekretär die Agenda aus, der er sich gemeinsam mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft im folgenden Jahrzehnt widmen sollte:
Es gehe darum, das Ordnungssystem Ludwig Erhards an die Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts anzupassen – „an den globalen Wettbewerb ..., an die Herausforderungen und Chancen der Informations- und Kommunikationstechnologien, und an die demographischen Veränderungen, ... die nachhaltige Auswirkungen auf unser Renten- und Sozialsystem haben“.

Tietmeyer forderte bei seinem Debüt als Kuratoriumsvorsitzender in Berlin ein konsequentes Eintreten gegen ausufernde Schulden und übermäßige staatliche Regeln. Vor allem aber machte er sich für mehr Wettbewerb und Eigeninitiative als Voraussetzungen für mehr Investitionen, Wachstum, Beschäftigung, Wohlstand und funktionierende Sozialsysteme stark.
 

Hans Tietmeyer und die Ordnungspolitik

Einerseits Eigeninitiative, Chancengerechtigkeit, Selbstverantwortung, auf der anderen Seite Subsidiarität und Solidarität mit denen, die sich nicht selbst helfen können – als „ordnungspolitisches Gewissen“ für Deutschland, so der frühere Bundespräsident Horst Köhler, vertrat Professor Tietmeyer auch in seinem langjährigen ehrenamtlichen Engagement für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft immer wieder öffentlich die Grundwerte der Sozialen Marktwirtschaft und forderte politische Reformen in diesem Sinne.

Mit ordnungspolitischen Argumenten setzte sich Hans Tietmeyer mit Kritikern auseinander, die marktwirtschaftliche Reformen per se für „unsozial“ halten. In einem Handelsblatt-Aufsatz im Jahre 2002 brachte er sein Verständnis unter Verweis auf seinen akademischen Lehrer Alfred Müller-Armack auf den Punkt: Dieser habe es als Leitidee der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet, „auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden“.

Das Prädikat „sozial“ verdiene die Soziale Marktwirtschaft zunächst deshalb, „weil sie eine leistungsfähige Wirtschaftsordnung ist“, so Tietmeyer: „Ihre Vorzüge kommen allen zugute; sie nutzen der Gemeinschaft.“ Und erneut bekannte er sich zu seinem marktwirtschaftlichen Credo: „Nur eine leistungsfähige Wirtschaftsordnung schafft Wohlstand für breite Schichten der Bevölkerung.“
 

Hans Tietmeyer, das Soziale und die eigene Leistung

Was ist sozial? Diese Frage stellte die Initiative im Jahr 2003 im Rahmen einer bundesweit beachteten Kampagne an Prominente, Politiker und Unternehmer. Die Antwort Professor Tietmeyers fügt sich nahtlos an sein Müller-Armack-Zitat an. Sozial war für Tietmeyer, „wer durch eigene Leistung zum Wohlstand für alle beiträgt“. In der Sozialen Marktwirtschaft liege die elementarste Form des Sozialen darin, jedem die Chance zu eröffnen, aus eigener Kraft am Wohlstand teilzuhaben. Tietmeyer: „Die eigentliche soziale Frage unserer Zeit lautet daher: Wie schaffen wir mehr wirtschaftliche Dynamik und mehr Arbeitsplätze? Oder anders gewendet: Sozial ist heute vor allem, was mehr Beschäftigung schafft.“

Sozial ist, was Beschäftigung schafft.“ Diese Formulierung nahmen in der Folgezeit führende Politiker aller Parteien auf: Der damalige Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement stellte seine Rede beim Berliner Kongress „An die Arbeit“, den die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft im Jahr 2003 veranstaltete, unter diesen Leitsatz. Die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel griff den Satz ebenso auf wie Edmund Stoiber im bayerischen Landtagswahlkampf.

Auch in der Bildungspolitik forderte Tietmeyer marktwirtschaftliche Reformen sowie deutlich mehr Leistung und Wettbewerb anstelle eines nivellierenden Egalitarismus. Er förderte damit eine bildungspolitische Debatte, die bis heute andauert. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Jahre 2001 forderte Tietmeyer: „Wir müssen in allen Gesellschaftsschichten das Leistungsdenken weiterentwickeln. Damit müssen wir schon in der Schule anfangen. ... Wir brauchen auch einen Wettbewerb zwischen Bildungsinstitutionen wie den Universitäten. Leistungseliten sind nicht schlecht.“

Leistungsbereitschaft als zentraler Motor in der Sozialen Marktwirtschaft – Hans Tietmeyer hat das selbst vorgelebt. Geboren in der westfälischen Kleinstadt Metelen, wuchs er – wie er selbst sagt – „in kleinen Verhältnissen“ auf. Er war eines von elf Kindern, der Vater Amtsinspektor mit bescheidenem Einkommen, die Mutter Tochter des Gastwirtes am Ort. Sein Studium finanzierte sich Hans Tietmeyer zunächst mit harter Arbeit unter Tage in der Zeche Auguste-Victoria, als Waldarbeiter sowie in der westfälischen Textilindustrie, weil seine Familie das Geld dafür nicht aufbringen konnte. Später erhielt er ein Stipendium des bischöflichen Cusanus-Werks.
 

Hans Tietmeyer als Zeitzeuge

Als er im Jahr 2000 den Kuratoriumsvorsitz der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft übernahm, hatte Professor Hans Tietmeyer vier Jahrzehnte im Dienst der Bundesrepublik absolviert – als Ministerialbeamter im Bundeswirtschaftsministerium und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium sowie im Direktorium der Deutschen Bundesbank, an deren Spitze er von 1993 bis 1999 stand.

Tietmeyers auch international großes Renommee als Wirtschafts- und Währungsfachmann sorgte dafür, dass diese Reforminitiative auch international Beachtung fand. Am 12. April 2001 veröffentlichte das Wall Street Journal einen Aufsatz Tietmeyers, der unter der Überschrift „Germany Reborn – The time has come to renew Germany’s social-market economic model“, ein internationales Publikum über die parteiübergreifende Reformplattform informierte.

Tietmeyer war an zentralen wirtschafts- und finanzpolitischen Weichenstellungen in Deutschland sowie auf internationaler Ebene maßgeblich beteiligt. Anfang der 70-er Jahre arbeitete er am Werner-Plan mit, der eine Währungsunion innerhalb der Europäischen Union vorbereiten sollte.

1982 verfasste Tietmeyer den Entwurf eines Konzeptes „für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“. Seine schonungslose Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Lage und die Empfehlungen, wie gegen die Investitions- und Wachstumsschwäche, die ausufernden Schulden und die steigende Arbeitslosigkeit zu Beginn der 80-er Jahre vorgegangen werden sollte, ging als „Lambsdorff-Papier“ in die Geschichte ein. Es markierte den äußeren Anlass für den Bruch der sozialliberalen Koalition.

Gerhard Stoltenberg, Finanzminister im neuen Kabinett Kohl, berief Tietmeyer zum Staatssekretär. In der nachfolgenden von ihm wesentlich mitgeprägten Phase der deutschen „Angebotspolitik“ gelang es tatsächlich, die Staatsquote und die Neuverschuldung ein Stück weit zurückzuführen. „Das war gut für die alte Bundesrepublik, und erst recht ein Segen, als es galt, die Lasten der deutschen Einheit zu schultern“, erinnerte sich der frühere Bundespräsident und IWF-Direktor Horst Köhler im Jahr 2006.

Als „Sherpa“ – so nennt man im politischen Hauptstadtleben die fachlich hervorragend informierten Ratgeber von Ministern und Regierungschefs – arbeitete Professor Hans Tietmeyer bei zahlreichen Gipfeltreffen. „Dabei drückt der Begriff Sherpa, also Lastenträger, nur unzureichend aus, welche wichtige Rolle sie spielten.“ Das sagte 1996 Bundeskanzler Helmut Kohl über Hans Tietmeyer.

Als Sonderberater des Bundeskanzlers vertrat dieser die Bundesrepublik bei den Verhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR. Im Vorwort zu einer Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft über die Entwicklung der neuen Bundesländer nach 20 Jahren deutscher Einheit und Sozialer Marktwirtschaft schrieb Tietmeyer über diese Zeit unter anderem: „Leider fehlte 1990 eine schonungslose öffentliche Bestandsaufnahme über den wirklichen Zustand der DDR und ihrer Wirtschaft. Dazu hatte ich dem neuen DDR-Regierungschef Lothar de Maizière nach der Märzwahl 1990 auch persönlich geraten. ... Leider ist Lothar de Maizière diesem Rat ... damals nicht gefolgt. Noch heute täuschen sich viele in Ost UND West über den wirklichen Zustand der DDR und ihrer Wirtschaft in den letzten Tagen der deutschen Teilung. Das verstellt ihnen leider oft auch den Blick auf eine angemessene Würdigung dessen, was erreicht worden ist.“

Hans Tietmeyer war im Direktorium und später als Präsident der Bundesbank maßgeblich an der Europäischen Währungsunion beteiligt. Wie eine Prophezeiung wirkt heute ein Passus im Vorwort seiner währungspolitischen Memoiren, die 2005 unter dem Titel „Herausforderung Euro“ erscheinen sind. „Unzureichende Wirtschaftsdynamik und mangelnde Fiskaldisziplin gefährden auf Dauer nicht nur Wohlstand und Beschäftigung; sie schaffen auch das Potenzial für neue Konflikte in Europa und können das notwendige Zukunftsvertrauen in die gemeinsame Währung nachhaltig belasten.“

Schon vor Einführung der neuen Währung hatte Tietmeyer immer wieder auf den Reformbedarf in Deutschland und Europa hingewiesen. 2011 schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung darüber:

Er (Tietmeyer) selbst sagte damals, der Euro sei keine Erlösungsformel für wirtschaftliche und soziale Probleme. „Die neue Risikogemeinschaft fordert vielmehr Solidarität durch eine dauerhaft stabilitätsorientierte nationale Finanz- und Sozialpolitik aller Euro-Länder. Auch damit sollte er Recht behalten, wie die aktuelle Schuldenkrise zeigt. Es wäre schön gewesen, hätten sich einige Staatenlenker stärker an den Rat gehalten.“

Hans Tietmeyer – Akzente in der Reformdebatte

Als er die ehrenamtliche Repräsentanz der Reformplattform Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft übernahm, war Professor Hans Tietmeyer

  • national und international hoch dekoriert. Er ist unter anderem Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik und vieler internationaler Auszeichnungen.
  • national und international sowie über die Parteien hinweg respektiert. So nannte ihn der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet einen „Fels in der Brandung“. Trichet weiter: „Seine Glaubwürdigkeit war legendär und suchte ihresgleichen.“ Tietmeyer sei der „Inbegriff des deutschen Konzepts einer soliden Wirtschaftspolitik“.

"Für die Verfechter des Reformkurses war es ein Glücksfall, dass sich Professor Tietmeyer an die Spitze der Initiative stellte“, betonte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser in einer Laudatio für Tietmeyer. Kannegiesser weiter: „Der Blick über den Tellerrand der nationalen Grenzen hinaus verband seine Erfahrungswelt – die eines international hoch geachteten und weltweit vernetzten Experten der Geld-, Währungs- und Wirtschaftspolitik – mit dem täglichen Erleben der Unternehmerschaft aus unserer Industrie.“

Auf zahlreichen Feldern hat sich Professor Hans Tietmeyer im Namen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zu wichtigen Fragen und Weichenstellungen der nationalen und internationalen Politik geäußert und den Reformdiskurs vorangetrieben.

„Schritte in die richtige Richtung“ nannte er die Agenda 2010 der Regierung Schröder am 17. April 2005 in einem Interview mit dem ZDF. Allerdings müsse noch mehr getan werden, um das Vertrauen für künftige Investoren herzustellen. Dies könne nur geschehen, „wenn die Politik die Kriterien der Kontinuität, der Konsistenz, das heißt des inneren Zusammenpassens, und damit auch der Kredibilität erfüllt. Nur das kann Investoren dazu bringen, wieder in diesem Lande zu investieren, und von den Investitionen hängen wir nun einmal ab“, so die Argumentation Tietmeyers.

Konsistenz und Kontinuität sind Worte, die in seinen Ausführungen immer wieder auftauchen. Ein Beispiel dafür ist das historische Lambsdorff-Papier von 1982, an dem Tietmeyer maßgeblich mitgeschrieben hatte. Seine Hinweise an die rot-grüne Koalition Schröder erinnern an das, was er in den 80-er Jahren der sozialliberalen Bundesregierung Helmut Schmidt auf den Weg gegeben hatte. In diesem Papier heißt es: „Wesentliche Kriterien dieser Politik müssen ... Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und innere Konsistenz sein. Inhaltlich muss die Politik vor allem darauf ausgerichtet sein, dem Privatsektor in der Wirtschaft wieder mehr Handlungsraum und eine neue Zukunftsperspektive zu verschaffen; und innerhalb des Staatssektors muss sie die Gewichte von der konsumtiven in Richtung der investiven Verwendung verlagern.“

Stets hat Professor Hans Tietmeyer die mittel- und langfristige Perspektive vor Augen. Damit untrennbar verbunden sind Glaubwürdigkeit und Konsistenz im Konzept sowie die Betonung von Investitionen in die Zukunft. Schon 1982 forderte Tietmeyer die „Festlegung und Durchsetzung eines mittelfristig angelegten und gesetzlich abgesicherten überzeugenden Konsolidierungskonzeptes für die öffentlichen Haushalte, das eine Erhöhung der Gesamtabgabenbelastung ausschließt ...“ 

Diese Forderung hat er auch als führender Repräsentant der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft immer wieder erneuert. Der neuen Bundesregierung Merkel gab er gleich nach der Wahl im Oktober 2005 die Forderung nach Haushaltskonsolidierung auf den Weg. Zitat: „Die neue Bundesregierung unter Angela Merkel wird sehr schnell eine politische Notoperation auf den Weg bringen müssen, damit sich der Zustand des chronisch kranken Schuldenpatienten Deutschland nicht noch weiter verschlechtert.“

2007 warnte er anlässlich der VI. Ludwig-Erhard-Lecture mit Professor Edmund S. Phelps vor Rückschritten bei der Arbeitsmarktliberalisierung: „Deutschland hat in den letzten Jahren eine robuste wirtschaftliche Entwicklung hingelegt ... Dies führte auch zu einer merklichen Entspannung auf dem Arbeitsmarkt und neben der kontinuierlichen Senkung der Arbeitslosenzahlen eben gerade auch zu einer Ausweitung der Beschäftigungsverhältnisse. Wer das wieder zurückdrehen will, schafft erneut mehr Arbeitslosigkeit und nimmt den Menschen Teilhabe-Chancen“, so seine deutliche Botschaft an die Bundespolitik.

Ende Oktober 2008 äußerte sich der frühere Bundesbankchef in einem Interview zur Banken- und Finanzkrise. Seine Antwort auf die Frage nach kurzfristigen Konjunkturprogrammen hat einmal mehr die mittel- und langfristige Perspektive im Blick. „Gegenüber kurzatmigen Programmen bin ich sehr skeptisch. Entscheidend ist vor allem, ob etwaige Maßnahmen dazu beitragen, unsere Volkswirtschaft in Zukunft dynamischer und wettbewerbsfähiger zu machen. Zudem dürfen etwaige fiskalische Lasten sowie die Notwendigkeit einer weiteren Sicherung der Sozialsysteme nicht außer Acht gelassen werden. Die Politiker dürfen gerade jetzt nicht nur partikular und kurzfristig denken. Sie tragen vor allem eine Verantwortung für die längerfristige Entwicklung und die Gestaltung der Rahmenbedingungen.“

In einem Papier für die Päpstliche Akademie für Sozialwissenschaften aus dem Jahr 2010, in dem sich Tietmeyer mit Ursachen und möglichen Konsequenzen aus der Finanzkrise auseinandersetzt, fordert er neue international vergleichbare Regeln für die Finanzmärkte und deren konsequente nationale Durchsetzung. Auch hier scheint abermals seine klare marktwirtschaftliche Überzeugung auf: „Weder darf das Prinzip der Eigenhaftung von Kapital und Management ausgehöhlt noch darf die notwendige Transparenz gefährdet werden. Und zugleich muss eine die ökonomische Effizienz der Finanzwirtschaft gefährdende Überregulierung vermieden werden.“

„Die gute Ordnung der wirtschaftlichen Freiheit, das ist für Hans Tietmeyer zu seinem Lebensthema geworden ... von seinen Tagen als Hilfsreferent im Bundesministerium für Wirtschaft bis heute, an der Spitze der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.“ Das sagte 2011 Horst Köhler zum 80. Geburtstag Professor Tietmeyers über den früheren Vorgesetzten im Bundeswirtschaftsministerium. Die erste Begegnung der beiden fand 1976 bezeichnenderweise lange nach Mitternacht im Büro des damaligen Referenten Köhler statt. Beide waren noch bei der Arbeit.

Tietmeyer war ein überzeugter Europäer. Nur wenige Wochen vor seinem Tode appellierte er im Oktober 2016 gemeinsam mit Clement, Issing, Stark und weiteren Botschaftern der INSM eindringlich für eine Rückkehr zum Subsidiaritätsprinzip in der EU

Vita Hans Tietmeyer

2000 bis 2012: Vorsitzender des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)

Professor Hans Tietmeyer hat nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident der Deutschen Bundesbank im Jahr 1999 Ehrenämter im In- und Ausland übernommen. Seit Herbst 2000 war er Vorsitzender des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Diese überparteiliche Reformplattform arbeitet für die marktwirtschaftliche Erneuerung des Wirtschafts- und Sozialsystems in Deutschland. Mit Interviews und Medienbeiträgen sowie durch Auftritte bei zahlreichen Veranstaltungen warb er für Reformen auf Basis der Prinzipien Ludwig Erhards.  

1993 bis 1999: Präsident der Deutschen Bundesbank

Im Oktober 1993 wurde Tietmeyer Präsident der Deutschen Bundesbank. Unter seiner Führung stand die Bundesbank für Preisstabilität und war die einflussreichste Währungsinstitution in Europa. Auch als Präsident der Bundesbank äußerte sich Hans Tietmeyer immer wieder zu zentralen wirtschaftspolitischen Fragen. Im Fokus: ein auf Nachhaltigkeit ausgelegter Umbau des Sozialstaates, stärkere Leistungsanreize und die Konzentration des Staates auf seine Kernaufgaben. Den Weg in die Währungsunion begleitete Tietmeyer konstruktiv kritisch. Diese sei nur dann ein Fortschritt, wenn sie dauerhaft Stabilität produziere und in ihren Konsequenzen von allen Beteiligten akzeptiert werde.

1990: Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank

Zum 1. Januar 1990 wechselte Tietmeyer aus dem Bundesfinanzministerium in das Bundesbankdirektorium, wo er sich mit internationalen Währungsfragen befasste und die Währungsunion maßgeblich mit vorbereitete. Horst Köhler folgte ihm als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.

1982:Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen

Im Bundesfinanzministerium von Gerhard Stoltenberg befasste sich Tietmeyer als Staatssekretär unter anderem mit Währungsvereinbarungen, internationalen Finanzbeziehungen und europäischer Politik. Zuständig war er auch für das Geld- und Kreditwesen sowie die Privatisierungspolitik. Als persönlicher Beauftragter (Sherpa) des Bundeskanzlers bereitete er internationale Wirtschaftsgipfel vor. Tietmeyer war zudem Vorsitzender wichtiger Ausschüsse in der EG und der OECD.

1973: Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik im Bundeswirtschaftsministerium

1967: Leiter des Referats Grundsatzfragen der Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik

Enger Mitarbeiter von Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller.

1962: Referent im Bundesministerium für Wirtschaft

1962 begann Tietmeyer seine Karriere als Referent (Grundsatzfragen der Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik) im Bundesministerium für Wirtschaft unter Ludwig Erhard.

1960: Promotion von der Universität zu Köln

1958: Examen als Diplom-Volkswirt

Tietmeyer schrieb seine Doplomarbeit bei Alfred Müller-Armack, dem Weggefährten Ludwig Erhards, an der Kölner Universität. Thema: Eine vergleichende Studie über die Ordnungsvorstellungen der Neoliberalen und der katholischen Soziallehre. Nach dem Examen war Tietmeyer Geschäftsführer des Cusanus-Werkes.

1953: Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Nach drei Semestern Studium der Philosophie und katholischen Theologie an der Universität Münster studierte Tietmeyer in Bonn und Köln Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er wurde Stipendiat des Cusanus-Werkes, der bischöflichen Studienförderung.

1952: Abitur in Münster am Gymnasium Paulinum

1931: Geburt in Metelen (18. August)

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