Um Flüchtlinge schneller in den deutschen Arbeitsmarkt zu bekommen, braucht es eine Entbürokratisierung der Sozialgesetze: keine Vorrangregelung, kein Zeitarbeitsverbot für Flüchtlinge. Bleiberechtigten Flüchtlingen einen Job zu geben, gelingt nur mit einer starken Wirtschaft, so Kuratoriumsvorsitzender der INSM Wolfgang Clement in einem Gastbeitrag im Handelsblatt vom 3.2.2016.
5. Februar 2016
In dieser Woche gelangte eine typisch deutsche Diskussion zumindest an ein Zwischenziel: Das Kabinett hat ein Gesetz zur Entbürokratisierung der Arbeit in den Jobcentern, also den wichtigsten Sozialbehörden unseres Landes verabschiedet. Diskutiert wird dieses Vorhaben seit Jahren. Doch nichts fällt hierzulande schwerer als sich von Bürokratie zu trennen. Lieber packen wir noch etwas drauf. Am Arbeitsmarkt kann man es studieren.
Aber zunächst ein Kompliment: Bundesarbeitsministerin Nahles wird den Beschäftigten in den Jobcentern mit ihrem Entbürokratisierungsgesetz etwas Arbeitserleichterung bringen. Das geschieht - denkbar schlicht - beispielsweise durch von sechs Monaten auf ein Jahr verlängerte Bewilligungszeiträume für Hartz-IV-Bescheide. Sicher etliche hundert Beschäftigte mehr als bisher werden sich dann um ihre eigentliche Aufgabe kümmern können, nämlich um die Vermittlung von Arbeitsuchenden in Jobs.
Über eine Million Langzeitarbeitslose sind darunter - und dieser "Sockel" an Arbeitslosigkeit ist viel zu starr. Man kann ihn, soweit überhaupt möglich, nur über persönliche Betreuung herunter drücken. Heinrich Alt, bisheriger verantwortlicher Vorstand in der Bundesagentur für Arbeit, hat es immer wieder beklagt: 50 Prozent der Mitarbeiter In den Jobcentern "vor Ort" sind bisher mit der Anfertigung von Bescheiden mit bis zu 80-Aktenseiten pro Einzelfall statt mit Arbeitsvermittlung beschäftigt. Die Themen reichen vom Duschgeld über Zuschläge für orthopädische Schuhe bis hin zu Tapetenkleister. Und dies sind nur ein paar Beispiele einzelfallbezogener Geldleistungen, die die ursprünglich vom Gesetzgeber vorgesehenen Pauschalen verdrängt haben.
Vor allem die Sozialgerichte tragen an dieser Bürokratisierung ihren Anteil. Im Ausland, so hat Heinrich Alt einmal geklagt, spreche man schon von "gerechtigkeitskranken Deutschen". Denn dort wisse man, dass das Streben nach Einzelfallgerechtigkeit eng mit Bürokratie zusammenhänge. Er trat deshalb und zu Recht immer für auskömmliche, also eher großzügigere Pauschalen statt der einzelfallbezogenen Sozialhilfe ein. Denn 12.000 BA-Mitarbeiter mehr in der Arbeitsvermittlung statt in der Aktenarbeit - sie würden aufs Ganze gesehen sicher mehr zu gerechten Verhältnissen im Lande beitragen können.
Umso widersinniger ist es, wenn die Bundesarbeitsministerin jene Arbeitserleichterung, die sie nun den Jobcentern verschaffen will, durch Erschwernisse im materiellen Recht weit überkompensiert. Schon im geltenden Recht fragt man sich verzweifelt, ob es - nicht zuletzt angesichts des alsbaldigen Ansturms von mindestens 200.000 Asylbewerbern auf die Arbeitsverwaltung - sinnvoll ist, eine über 15 Monate währende Vorrangregelung für Deutsche und EU-Ausländer vor Flüchtlingen in Kraft zu halten. Das ist in einem boomenden Arbeitsmarkt wie dem unseren nichts als Überbürokratie! Und ebenso unbegreiflich ist es, Asylbewerbern, die generell nach drei Monaten eine Arbeit aufnehmen dürfen, im selben Atemzug zu verbieten, genau dies in der Zeitarbeit zu tun. Es müßte doch bekannt sein, dass es, namentlich für Geringqualizierte, keinen rascheren Weg in den Arbeitsmarkt gibt!
Kein Zweifel, der Zustrom an Flüchtlingen und Asylbewerbern verlangt einen gewaltigen Zuwachs an Arbeitsplätzen. Mindestens 50 Prozent derer, die zu uns kommen, müssen so schnell wie möglich einen Job finden. Das geht nur mit einer starken und flexiblen Wirtschaft. Genau diese Flexibilität wird den Unternehmen aber mit dem von der großen Koalition vereinbarten und von der Bundesarbeitsministerin in Gang gesetzten Rollback von Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 genommen. Es geht dabei wiederum um die Zeitarbeit und um die Werkverträge und da um die Abgrenzung zur "Scheinselbständigkeit". Genau diese Diskussion hatten wir schon vor der "Agenda" - nur dass die Suche nach gesetzgeberisch handhabbaren Unterscheidungskriterien heute, im Zeichen der Digitalisierung, noch unmöglicher geworden ist.
Dagegen gibt es nur einen Rat: Lasst ab von dieser Art Sozial-Bürokratie - und vertraut den Sozialpartnern in den Betrieben und in den Tarifpartnerschaften! Sie schaffen zusammen mehr an konkreter sozialer Marktwirtschaft als der eifrigste Sozial-Regulator! Und das gilt erst recht in einer Zeit, in der die Digitalisierung der Industrie viel schneller ist als der Gesetzgeber. Und in der uns der Zustrom an Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ohnedies keinen Zeitverzug erlaubt!