Studie

Junge Menschen besonders betroffen: Wie Corona auf den Arbeitsmarkt wirkt

Was sind die Auswirkungen der Corona-Krise auf den deutschen Arbeitsmarkt? Die Forscher vom Forschungsinstitut Prognos haben analysiert, welche Folgen bereits nach wenigen Monaten sichtbar sind und worauf wir uns für die Zukunft einstellen müssen.

29. August 2020

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Auf einen Blick

  • Junge Menschen und Menschen ohne Berufsausbildung sind aktuell besonders von den Arbeitsmarktfolgen der Corona-Pandemie betroffen. 
  • Der Fachkräftemangel wird trotz Corona in den meisten Branchen erhalten bleiben beziehungsweise sich weiter verschärfen.
  • In manchen Hochschulabschlüssen, etwa Jura und Wirtschaftswissenschaften, kann sich der Arbeitskräfteüberhang verschärfen.
  • INSM-Forderungen für mehr Beschäftigung: 
    • Vorbeschäftigungsverbot bei befristet Beschäftigten zumindest temporär aussetzen
    • Ausbildungsprämien für alle Unternehmen
    • Ausbau der Angebote für Teilqualifikation
    • Berufliche Ausbildung stärker fördern

Erkenntnisse aus der Prognos-Studie

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Die im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erstellte Prognos-Studie Corona und der Arbeitsmarkt: Wie wirkt sich die Corona-Krise auf Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage aus?“ hat ein zentrales Ergebnis: Junge Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren sind nach Erkenntnissen der Wissenschaftler Dr. Oliver Ehrentraut und Markus Hoch die großen Verlierer der Corona-Krise. Sie sind deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen ab 55 Jahren (siehe Grafik unten).

Wie Corona den Ausbildungsmarkt trifft, kann man gut recherchiert hier nachlesen.

Die Corona-Krise trifft neben den Jüngeren auch besonders Menschen ohne Berufsausbildung. Allerdings ist diese Gruppe auch ohne Corona vergleichsweise stark von Arbeitslosigkeit betroffen (siehe ebenfalls Grafik unten).

Insgesamt beläuft sich nach aktuellen Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit der Corona-Effekt auf die Arbeitslosigkeit im Juni 2020 auf etwa 638.000 Arbeitslose. In dieser Schätzung sind nicht nur die arbeitslos gewordenen Menschen berücksichtigt, ebenfalls enthalten sind Arbeitslose, die ohne Corona-Krise einen Weg in Beschäftigung oder Selbstständigkeit gefunden hätten.

Was wurde untersucht?

Die Wissenschaftler des Prognos-Instituts haben nicht nur auf die Gegenwart geschaut. Wie wird sich die Corona-Krise in der Zukunft auf den Arbeitsmarkt auswirken, war die zweite zentrale Frage ihrer Untersuchung. Zunächst aber: So ist Prognos bei der Studien-Erstellung vorgegangen.

  • Basis der Studie ist ein bestehendes Szenario, das Prognos seit 2008 regelmäßig für die Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft (vbw) erstellt. In der sogenannten Studienreihe „Arbeitslandschaft“ (hier die aktuellste Ausgabe) werden zukünftige Entwicklungen von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage nach verschiedenen Kategorien prognostiziert. 

  • Dem Basis-Szenario wurde in dieser Studie ein Corona-Szenario gegenübergestellt und verglichen. Die Gegenüberstellung zeigt, welche Personengruppen – differenziert nach Qualifikation, Altersgruppen und Geschlecht – wie stark von der Krise beeinträchtigt werden.

Im Ergebnis veranschaulicht die Untersuchung also, welche Arbeitskräfte durch Corona besonders von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Wie immer beruht ein solcher Blick in die Zukunft auf Annahmen. Im Kern sind dies folgende:  

  • Der Höhepunkt des Nachfrageeinbruchs ist bei Studienerstellung (Juli 2020) erreicht.

  • Die Wachstumsraten sind ab 2021 wieder auf dem Stand wie vor Corona.

  • Weil sich die Folgen von Corona kumulieren, wird der negative Höhepunkt auf dem Arbeitsmarkt im Jahr 2022 erreicht sein.

  • Das Arbeitskräfteangebot – also die Zahl der Menschen, die einen Job suchen oder haben – bleibt gleich. 

Auf Basis dieser Annahmen hat Prognos die Corona-bedingten Auswirkungen auf unterschiedliche Berufe berechnet. Die Ergebnisse sind der Tabelle unten zu entnehmen. Die ist etwas komplex. Zum Verständnis deshalb im Folgenden eine Lesehilfe am Beispiel des Arbeitskräfteangebots in der Textil- und Bekleidungsbranche:  

Im Textil- und Bekleidungstechnikgewerbe können im Szenario mit Krise im Jahr 2022 17,8 Prozent der Arbeitskräftenachfrage nicht vom Arbeitskräfteangebot gedeckt werden – gegenüber 19,4 Prozent im Szenario ohne Krise. Die aufgrund der Krise geringere Arbeitskräftenachfrage führt in dieser Fachrichtung somit zu einer Entschärfung des potenziellen Fachkräftemangels. Deshalb steht die Ampel" hier auf rot. Dabei verteilen sich 90 Prozent der im Jahr 2017 Erwerbstätigen dieser Hauptfachrichtung auf 14 Berufsgruppen, das Durchschnittsalter ist mit 51 Jahren vergleichsweise sehr hoch und durchschnittlich wird 26 Stunden pro Woche gearbeitet. Mit einem Anteil von 81 Prozent der Erwerbspersonen handelt es sich dabei um eine stark weiblich geprägte Hauptfachrichtung.

 

Was der Vergleich in der Tabelle oben vor allem zeigt: Der Fachkräftemangel (angezeigt durch roten und gelben Kreis) wird trotz Corona in den meisten Branchen erhalten bleiben. Für Jobsucher eine gute Nachricht. Nur in wenigen Bereichen (etwa Gastgewerbe und Catering) ist damit zu rechnen, dass im Jahr 2022 mehr Menschen einen Job suchen als angeboten werden. 

Was außerdem auffällt: Auch bei Menschen ohne beruflichen Abschluss (Tabelle oben) weist der Blick auf das Jahr 2022 eine gelbe Ampel aus (was bedeutet, dass es mehr Stellenangebote als Stellennachfragen gibt). Wie passt das zur aktuell hohen Arbeitslosigkeit bei dieser Gruppe? Die Wissenschaftler schreiben hierzu: „Der rechnerische Saldo von minus 1,5 Prozent sollte nicht als Arbeitskräfteengpass im eigentlichen Sinne interpretiert werden. Erstens spricht bereits die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote in dieser Personengruppe dafür, dass prinzipiell ausreichend Arbeitskräfte vorhanden sind und der entstehende Mismatch von Angebot und Nachfrage somit auf andere Gründe zurückzuführen ist. Zweitens üben Erwerbstätige dieser Personengruppe in vielen Fällen eher Helfertätigkeiten mit vergleichsweise geringen qualifikatorischen Anforderungen aus. Diese werden entsprechend flexibel in nahezu allen Branchen für verschiedenste Arbeiten benötigt, sodass es sich hierbei um einen sehr heterogenen Teilarbeitsmarkt handelt. So verteilen sich 90 Prozent der Erwerbstätigen dieser Personengruppe auf 53 Branchen.“

Akademiker könnten der Studie zufolge anders als die Beschäftigten der meisten Fachberufe stärker unter den Corona-Folgen auf dem Arbeitsmarkt leiden. Prognos zeigt, dass sich für die Personengruppe mit Hochschulabschluss der in einigen Fachrichtungen ohnehin zu erwartende Arbeitskräfteüberhang durch die Pandemie noch verstärken könnte. Dies gilt insbesondere für die Fachrichtungen Kunst sowie Rechts- und Wirtschaftswissenschaften (siehe Tabelle unten).

Allerdings, so schreiben die Wissenschaftler: „Bei den Angebotsüberschüssen von Personen mit Hochschulabschluss gilt es zu beachten, dass diese nicht mit einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko für diese Personengruppe gleichzusetzen sind. So ist es für Personen mit einem akademischen Abschluss häufig möglich, auch eine Erwerbstätigkeit mit einem geringeren Spezialisierungsgrad (beruflichen Abschluss) aufzunehmen.“ Mit anderen Worten: Die meisten Studenten müssen sich keine Sorge um einen Job machen, aber möglicherweise wird es nicht jener Beruf werden, für den sie studiert haben. 

Auch zum Verständnis der unteren Tabelle hier eine Lesehilfe (sie bezieht sich auf den obersten Eintrag in der Tabelle): 

In den Ingenieurwissenschaften können im Szenario mit Krise im Jahr 2022 4,6 Prozent der Arbeitskräftenachfrage nicht vom Arbeitskräfteangebot gedeckt werden – gegenüber 6,1 Prozent im Szenario ohne Krise. Die aufgrund der Krise geringer ausfallende Arbeitskräftenachfrage führt in dieser Fachrichtung somit zu einer Entschärfung des potenziellen Fachkräftemangels. Dabei verteilen sich 90 Prozent der im Jahr 2017 Erwerbstätigen dieser Hauptfachrichtung auf ganze 30 Berufsgruppen, das Durchschnittsalter beträgt 45 Jahre und durchschnittlich wird 36 Stunden pro Woche gearbeitet. Mit einem Anteil von 82 Prozent der Erwerbspersonen handelt es sich dabei um eine stark männlich geprägte Hauptfachrichtung.

Welche Lehren lassen sich aus der Studie ableiten?

Kurzfristige Maßnahmen, die die INSM empfiehlt, damit die Corona-bedingte Arbeitslosigkeit sich nicht verfestigt, lauten: 

  • In einer Krise mit unsicherer wirtschaftlicher Aussicht sollte die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen erhöht werden, damit möglichst vielen Menschen der schnelle (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt gelingt. Dazu sollten bestehende Einstellungshürden wie das Vorbeschäftigungsverbot bei befristet Beschäftigten zumindest temporär ausgesetzt werden.

  • Die von der Bundesregierung beschlossenen Ausbildungsprämien gehen in die richtige Richtung und sichern das Angebot an Ausbildungsplätzen bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen in der Krise. Es ist aber unverständlich, warum sich die Prämie ausschließlich an Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten richtet, größere Unternehmen aber nicht berücksichtigt werden. Hier sollte die Bundesregierung umdenken.

Mittel- bis langfristig wird die Corona-Krise vermutlich wenig ändern am zunehmenden Fachkräftemangel. Daher mahnt die INSM folgende Maßnahmen schon heute an:

  • Menschen ohne beruflichen Abschluss könnten mit einer Teilqualifikation zumindest für bestimmte Helfertätigkeiten geschult werden und damit ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz erheblich steigern. Hier sollten die Angebote ausgebaut werden.

  • Die berufliche Ausbildung muss stärker als bisher gefördert werden. Um künftige Engpässe in Mangelberufen zu entschärfen, sollten zudem Betreuungsangebote ausgebaut werden. Dann könnten mehr Teilzeitbeschäftige ihre Wochenarbeitszeit in Richtung Vollzeittätigkeit erhöhen.

  • Mehr Studienplätze für Medizin und niedrigere Studienabbrecherquoten in den Ingenieurwissenschaften können dem Fachkräftemangel in diesen Fachbereichen entgegenwirken.