Studie zu Minijob-Reform

Prof. Dr. Norbert Berthold: "Arbeitslosigkeit würde sinken"

Ein relevanter Teil der Deutschen arbeitet nur wenige Stunden die Woche, knapp die Hälfte der Arbeitslosen bleibt länger als ein Jahr erwerbslos. Das liegt vor allem am Konstrukt der Minijobs und den Hartz-IV-Regeln, belegen Norbert Berthold, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, und Mustafa Coban in einer Studie im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nachgewiesen.

25. Juni 2013

Die Welt kann verändert werden, Zukunft ist kein Schicksal“, hat der österreichische Schriftsteller und Zukunftsforscher Robert Jungk einmal gesagt. Wer unser gesellschaftliches Leben in diesem Sinne als gestaltbar ansieht, wer daran glaubt, dass wir Schlechtes zum Guten, Gutes zum Besseren wenden können, der ist in Zeiten wie diesen besonders gefordert.

Denn der Reformeifer ist gering. Den Deutschen geht es relativ gut. Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken, die europäische Wirtschaftskrise geht an Deutschland noch immer relativ spurlos vorüber. Wo aber die Notwendigkeit für Veränderungen kaum sichtbar ist, da fehlt der Politik der Mut. Weil Veränderung Widerstände schafft.

Doch nichts muss bleiben, wie es ist. Wolken am Horizont sind schon lange zu sehen. Bis 2050 werden im statistischen Durchschnitt jährlich 500.000 Menschen weniger potenziell dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen.

Arbeit aber ist die Grundlage unseres Wohlstands. Wollen wir diesen Wohlstand halten oder steigern, muss zukünftig die geringere Zahl an Erwerbspersonen stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden und bereits Beschäftigte mehr arbeiten. Genauer gesagt, darf Arbeitslosigkeit für bestimmte Bevölkerungsgruppen kein Dauerzustand sein, und Beschäftigte mit wenigen Wochenarbeitsstunden müssen den Wunsch haben, mehr zu arbeiten.

Kaum attraktive Anreize für Minijobber

Diese Ziele werden aber nur erreicht, wenn wir den Rahmen verbessern, in dem sich Arbeitsbeziehungen heute entfalten – oder eben nicht.

So belegt Deutschland im europäischen Vergleich bei der Langzeitarbeitslosigkeit nach Ungarn und Rumänien Platz 22. Schweden und Norwegen übernehmen die Tabellenführung.

Zudem ist in Deutschland ein Phänomen zu beobachten, das es in wirtschaftlich ähnlich entwickelten Ländern kaum gibt: Ein relevanter Teil der erwerbstätigen Bevölkerung arbeitet nur wenig. Ein Achtel aller Erwerbstätigen geht hierzulande ausschließlich einem sogenannten Minijob nach – eine Beschäftigungsform, die außerhalb von Deutschland praktisch unbekannt ist.

Es liegt die Vermutung nahe, dass es nicht an einer überproportionalen Präferenz der Deutschen für Freizeit liegt, dass ein relevanter Teil der Deutschen nur wenige Stunden die Woche arbeitet oder knapp die Hälfte der Arbeitslosen länger als ein Jahr erwerbslos bleibt.

Es liegt vielmehr am staatlichen Konstrukt der Minijobs und der Hartz-IV-Regeln, die es unattraktiv machen, mehr zu arbeiten oder überhaupt zu arbeiten. Was wir dringend brauchen, ist eine Verbesserung dieser Regeln. Darin liegt nicht nur ein großes Beschäftigungs- und Wachstumspotenzial, sondern auch eine Teillösung für das demografische Problem und die Langzeitarbeitslosigkeit.

Bevor wir zu den notwendigen Reformvorschlägen kommen, zunächst die Analyse: Derzeit handelt es sich bei jedem fünften Arbeitsverhältnis in Deutschland um einen Minijob. Jeder dritte Minijob wird jedoch nur im Nebenerwerb ausgeführt. Zwei Drittel der geringfügigen Beschäftigungen werden von Frauen besetzt. Während knapp 60 Prozent der Minijobs keinen beruflichen Ausbildungsabschluss erfordern, besitzen drei Viertel der Minijobber eine abgeschlossene Ausbildung oder eine höhere Bildung. Das Absurde: Jeder kann unabhängig von seiner Qualifikation, sei- nem Geschlecht und seinem Alter einen Minijob aufnehmen. Dabei sind die eigentlichen Adressaten gering Qualifizierte und Arbeitslosengeld-II- Bezieher (ALG-II-Bezieher).

Geburt der Geringfügigkeitsgrenze

Ein kurzer Blick zurück: 2003 kam es im Zuge der Hartz-Reformen zu einer Neuausrichtung der geringfügigen Beschäftigung. Die Geringfügigkeitsgrenze wurde auf einen Monatsbruttolohn von 400 Euro angehoben, die zusätzliche Bedingung einer Arbeitszeit von weniger als 15 Stunden pro Woche abgeschafft.

Beschäftigungsverhältnisse innerhalb dieses Einkommensbereichs nennt man seitdem Minijobs. Sie sind für die Arbeitnehmer steuer- und sozialabgabenfrei und können neben einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung aufgenommen werden.
Nur der Arbeitgeber tätigt pauschale Beiträge an die Rentenversicherung in Höhe von zwölf Prozent und an die gesetzliche Krankenversicherung in Höhe von elf Prozent.
Zudem muss dieser eine pauschale Lohnsteuer von zwei Prozent abführen. Mit einer weiteren Anpassung 2006 wurden der Beitrag zur Rentenversicherung auf 15 Prozent und der Beitrag zur Krankenversicherung auf 13 Prozent erhöht. Die pauschale Lohnsteuer blieb unverändert.

Somit summiert sich die Belastung des Arbeitgebers aus einem Minijob derzeit auf 30 Prozent, wenn man von den marginalen Umlagen bei Krankheit, Schwangerschaft und Insolvenz absieht.

Zur Verringerung der Abgabenfalle wurde außerdem eine Gleitzone für Bruttomonatseinkommen zwischen 400 und 800 Euro eingerichtet.

Beschäftigungsverhältnisse innerhalb dieses Einkommensintervalls heißen Midijobs. Bei mehreren Beschäftigungsverhältnissen ist das insgesamt erzielte Arbeitsentgelt maßgebend. Die vom Arbeitgeber zu entrichtenden Beiträge an die Sozialversicherungen verhalten sich wie bei normalen Beschäfti- gungsverhältnissen und bleiben über die gesamte Gleitzone konstant. Somit ergibt sich eine Gesamtbelastung für den Arbeitgeber in Höhe von 19,58 Prozent.

Ab 2013 wurden die Grenzen für Minijobs auf 450 Euro und für Midijobs auf 850 Euro angehoben.

Die Attraktivität der Minijobs liegt darin, dass der Bruttolohn dem Nettoverdienst entspricht. Hierdurch sind Erwerbslose bereit, auch zu niedrigeren Löhnen eine geringfügige Beschäftigung aufzunehmen, und Unternehmen können auf der Ebene der Bruttostundenlöhne Arbeitskosten einsparen.

Aufgrund der geringeren Entlohnung beschränkt sich ein Großteil der geringfügigen Beschäftigung auf einfache Tätigkeiten.

Gelingt durch Mini- und Midijob-Regelungen der Einstieg in Arbeit?

Wie sehen die Chancen aus, einen Mini- oder Midijob nach oben (mehr Einkommen) zu verlassen?

Geht ein Dachdecker neben seinem normalen Arbeitsverhältnis einem Minijob nach, hilft das gering qualifizierten ALG-II-Beziehern wenig. Er kann ihnen sogar schaden, wenn nämlich ein per Nebenerwerb subventionierter Dachdecker dem Jobeinsteiger die Arbeitsmöglichkeit wegschnappt.

Unabhängig von der Nebenerwerbsfrage ist ein Minijob wegen der Anrechnung auf Lohnersatzleistungen kaum geeignet, gering Qualifizierte in Beschäftigung zu bringen. Denn ein gering qualifizierter Arbeitslosengeld-II-Bezieher wird es sich sehr gut überlegen, ob er einen Minijob von 450 Euro annimmt, wenn er davon 280 Euro an den Staat abgeben muss.

Wie bizarr die Regeln sind, zeigt ein zweites Beispiel: Nimmt eine Person einen Minijob bis 450 Euro an, erhält sie „brutto gleich netto“. Entscheidet sie sich jedoch für einen Midijob über beispielsweise 500 Euro (und arbeitet dafür länger), erhält sie netto nur noch 436 Euro. Das ist eine klassische Abgabenfalle.

Es spricht vieles dafür, die Mini- und Midijobs neu auszurichten. Dazu sind allerdings drei grundlegende Reformen notwendig. 

Jobchancen für gering Qualifizierte erhöhen

Als Erstes sollte die Steuer- und Abgabenfreiheit im Nebenerwerb abgeschafft werden. Schließlich geht es darum die Beschäftigungschancen der gering Qualifizierten und ALG-II-Bezieher zu verbessern.

Minijobber im Nebenerwerb befinden sich bereits über ihre Hauptbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt. Ihre Förderung erhöht nicht die Erwerbstätigenquote, sondern schafft nur günstige Konditionen zur Aufbesserung ihres Haushaltseinkommens.

Zweitens müssen höhere Brutto- auch zu höheren Nettoeinkommen führen. Es sind zwei Strategien mit unterschiedlichen fiskalischen Belastungen denkbar.

In der ersten Variante wird eine Gleitzone für Monatseinkommen bis 1000 Euro eingerichtet. In diesem Einkommensbereich steigt der Arbeitnehmersatz zur Sozialversicherung linear an und erreicht bei der Gleitzonengrenze den Prozentsatz aus einer regulären Beschäftigung. Auch der Beitragssatz der Arbeitgeber wird neu geregelt. Für Beschäftigungsverhältnisse bis 200 Euro soll der Arbeitgeber anstatt derzeit 30 Prozent nur noch 25 Prozent abführen.

Ab einem Monatseinkommen von 200 Euro wird demnach der allgemeine Arbeitgebersatz zur Sozialversicherung in Höhe von 19,28 Prozent wirksam. Diese Senkung soll den Arbeitgebern weiterhin ermöglichen, in Stoßzeiten Kleinbeschäftigungsverhältnisse (Beschäftigungen bis 200 Euro) anzubieten.

Dennoch darf die neue Pauschale den allgemeinen Arbeitgebersatz nicht unterschreiten, damit Beschäftigungen mit geringen Bruttomonatseinkommen und geringen Arbeitsstunden unattraktiv bleiben. Kleinbeschäftigungsverhältnisse sollen sich auf kurzfristige Tätigkeiten begrenzen. 

Vom selbst Verdienten mehr behalten

Die zweite Möglichkeit ist eine Einkommenssubvention nach britischem Vorbild. Hier gilt für alle Arbeitnehmer unabhängig von der Einkommenshöhe der allgemeine Sozialversicherungssatz. Einkommensbezieher mit Kindern (ohne Kinder) erhalten bis zu einer Einkommenshöhe von 1500 Euro (1200 Euro) eine Steuergutschrift, die bis zu 28 Prozent des Bruttoeinkommens betragen kann.

Drittens müssen die Hartz-IV-Regelungen angepasst werden. Neben niedrigeren Bedarfsleistungen sind geringere Entzugsraten auf Hinzuverdienste der ALG-II- Bezieher nötig. Das bedeutet: Vom selbst Verdienten darf mehr behalten werden. Das erhöht die Bereitschaft der ALG-II-Bezieher, einen Job im Niedriglohnsektor ohne stärkere Einkommenseinbußen anzunehmen.

Zudem dürfen die Entzugsraten künftig nicht mit dem Mehrverdienst steigen, sondern müssen abnehmen. Während heute die effektiven Entzugsraten mit jedem weiteren Euro zunehmen, muss künftig das Gegenteil der Fall sein.

Unser Vorschlag: Eine volle Anrechnung bis zu einem Einkommen von 200 Euro, damit ALG-II-Bezieher keinen Kleinbeschäftigungen nachgehen, die weder die Belastung des Steuersystems merklich reduzieren noch dem Leistungsberechtigten eine Chance zu einer langfristigen Integration in den Arbeitsmarkt bieten.

Ab einem Einkommen von 200 Euro soll die Entzugsrate mit jedem hinzuverdienten Euro sinken. Übersteigt das Einkommen 1000 Euro, nehmen die effektiven Transferentzugsraten zu, da für Beschäftigungsverhältnisse oberhalb dieser Grenze eine langfristige Integration in das Erwerbsleben wahrscheinlicher wird.

Eine solche Reform ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Arbeitslosigkeit unter gering Qualifizierten würde sinken, die Beschäftigung von ALG-II-Beziehern steigen.

Das ist in Zeiten einer rückläufigen Nachfrage nach einfacher Arbeit wichtig und verhindert, dass einfache Arbeit massenhaft arbeitslos wird und verringert die Gefahr steigender Armut.

Es gilt: Sozial gerecht ist, was Arbeit schafft. Ein gesetzlicher Mindestlohn erstickt die Reform der Mini- und Midijobs im Keim. Er vernichtet Arbeitsplätze für einfache Arbeit. Das ist weder effizient noch gerecht.