Statement Hubertus Pellengahr

"Niedriglöhne sind Einstiegslöhne"

„So genannte Niedriglöhne sind in Deutschland für viele Menschen vor allem eines: Einstiegslöhne“, sagt Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bei der Vorstellung des Gutachtens "Der Niedriglohnsektor in Deutschland". Im folgendes das Statement von Hubertus Pellengahr auf der Pressekonferenz am 30. August 2011 im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin.

29. August 2011

INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr

Das heute vorgestellte Gutachten ist brisant und wir hoffen, dass es die Arbeitsmarkt-Diskussion in Deutschland vorantreiben wird.

Zunächst eine Definition, die uns wichtig ist: Was ein Niedriglohn ist, darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Wir haben uns an die in der Wissenschaft gängigste gehalten, nämlich eine, die davon abhängt was andere verdienen. Konkret: Die Niedriglohngrenze in diesem Gutachten liegt bei einem Bruttostundenlohn von weniger als zwei Dritteln des mittleren Bruttostundenlohns. Daraus ergibt sich eine Niedriglohnobergrenze von knapp 9 Euro.

Zu den Ergebnissen des Gutachtens.

Eine erste wichtige Erkenntnis ist, dass die Angst der Mittelschicht vor einem Abrutschen in einen so genannten Niedriglohnbereich empirisch nicht haltbar ist. Die Daten belegen vielmehr, dass zwar der Niedriglohnsektor in den vergangenen Jahren zugenommen hat, dass dieser aber nicht auf Kosten der Normalverdiener gewachsen ist, sondern durch zuvor Nicht-Beschäftigte - nicht zuletzt Arbeitslose - gestiegen ist.

Zweitens: Die Wahrscheinlichkeit, aus dem Niedriglohnsektor in den so genannten Normalverdiener-Bereich aufzusteigen, ist um ein Vielfaches höher als der umgekehrte Weg. Niedriglöhne sind also vor allem eines: Einstiegslöhne!

Und drittens: Wer weniger verdient, muss nicht arm sein. Jobs im Niedriglohnbereich sind häufig Zuverdienste zum Haushaltseinkommen. Das Gutachten belegt: Das Armutsrisiko ist bei Arbeitslosen um ein Mehrfaches höher als bei den Geringverdienern.

Wir als Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wollen dafür sorgen, dass die Politik aus den Erkenntnissen der Wissenschaft die richtigen Schlüsse zieht.

Der Erste liegt bei diesen Zahlen klar auf der Hand - und wird Sie vermutlich nicht überraschen: Mindestlöhne sind schädlich! Unser Gutachten zeigt: Viele Menschen haben in den vergangenen Jahren den Sprung zurück in den Arbeitsmarkt geschafft und nicht nur das: dem Einstieg folgte oft der Aufstieg.

Wer den Menschen durch einen Mindestlohn diese Chancen nimmt, handelt nicht nur gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv, sondern versündigt sich auch an hunderttausenden Einzelschicksalen.

Und eine zweite Forderung leitet sich für uns aus diesem Gutachten ab: Die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt müssen noch stärker als bisher jene Generation von Erwerbstätigen stärken, die man früher einmal „das alte Eisen“ nannte. Frühverrentung und langer Bezug von Arbeitslosengeld haben dazu geführt, dass Ältere Stück für Stück aus dem Arbeitsmarkt gedrängt wurden - auch wenn ihnen diese Verdrängung finanziell versüßt wurde.

Allein schon wegen des demografischen Wandels ist eine solche Politik nicht mehr zeitgemäß. Doch die Beharrungskräfte sind stark, wie wir an der Arbeitslosenversicherung merken. Vor zweieinhalb Jahren hat die große Koalition die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere auf bis zu 24 Monate verlängert.

Wir fordern: gleiche Bezugsdauer für alle – unabhängig vom Alter - nämlich maximal 12 Monate.

Denn erstens ist die Arbeitslosenversicherung vor allem eine Versicherung, die Höhe der Leistung darf nicht vom Geburtsjahr abhängen. Mit anderen Worten: Wer arbeitslos wird, dem wird geholfen, egal wie alt er ist.

Zweitens und wichtiger: Die Vergangenheit hat eindrücklich gezeigt, dass die vermeintliche Besserstellung von Älteren in Wirklichkeit zu ihrem Schaden ist, weil sie eben aussortiert wurden. Ältere werden aber auf dem Arbeitsmarkt gebraucht. Sie haben Fähigkeiten, die Junge nicht haben: Erfahrung, Ruhe, Entscheidungskraft.

Der Arbeitsmarkt, das zeigt nicht nur dieses Gutachten, ist aufnahmefähig für jedes Alter.

Um ein Missverständnis vorzubeugen: Es geht uns hier nicht darum, einen Bereich des Arbeitsmarktes, den Niedriglohnsektor, schön zu reden. Reichtümer sind hier nicht zu verdienen. Was aber entscheidend ist: Wer den Niedriglohnsektor verhindert, macht die Sache schlimmer. Er verhindert, dass Menschen in Beschäftigung kommen und verbaut ihnen darüber hinaus die Chance des finanziellen und sozialen Aufstiegs. Arbeit ist ein Wert, der sich nicht nur am Einkommen bemisst. Beschäftigungsverhältnisse etwa durch Mindestlöhne zu verhindern, läuft diesem Wert zuwider. Das wollen wir nicht, deswegen kämpfen wir für das Projekt Vollbeschäftigung.