Seit Monaten wird eine Debatte über das Für und Wider von Hartz IV geführt. Anlass genug für Florian von Hennet, Pressesprecher der INSM, sich mit einem der Väter der Agenda-Reformen zu einem Interview zu treffen. Clement ist Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit a.D. und Kuratoriumsvorsitzender der INSM.
31. Januar 2019Hartz IV reformieren - aber wie?Warum Hartz IV erfolgreich ist
INSM: Was war der Auslöser, der zu dem führte, was wir heute als „Hartz IV“ kennen?
Wolfgang Clement: Auslöser war die Feststellung, die man auch schon früher hätte treffen können, dass wir bis 2005 nebeneinander mit zwei Sozialsystemen für erwerbsfähige Arbeitssuchende arbeiteten, nämlich der vormaligen Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe, wobei aber in dem einen System – der Sozialhilfe – keine Arbeitsvermittlung stattfand. Insofern war es zwingend, die beiden Systeme für erwerbsfähige Menschen ohne Arbeit im Arbeitslosengeld II – seither leider „Hartz IV“ genannt - zusammenzuführen. Für die, die aus der Sozialhilfe kamen, hatte dies den Vorteil, dass sie nunmehr endlich in die Arbeitsvermittlung kamen und zudem kranken- und pflegeversichert wurden. Wir haben auf diese Weise einige hunderttausend Menschen in den Arbeitsmarkt geholt und in die Arbeitsvermittlung gebracht, in der die meisten von ihnen zuvor nie waren. Davon haben wir uns auch nicht abbringen lassen, als aufgrund der Zusammenlegung in einem Schritt die statistische Erfassung von Arbeitsuchenden explosionsartig anstieg und schließlich die 5-Millionen-Grenze überschritt. Das war natürlich ein Schockerlebnis, und es gehörte durchaus Durchhaltevermögen dazu, weiter auf die heilsame Wirkung der Maßnahmen zu setzen. Doch das Vertrauen hat sich, wie sich in den Folgejahren alsbald zeigte, ausgezahlt.
Sanktionen und Sperrzeiten gab es auch schon vor Ihren Reformen. Was war das Neue?
Wir haben den Grundsatz vom „Fördern und Fordern“ ganz konkret gemacht. Was heißt: Zur Arbeitsvermittlung gehören immer Zwei, der oder die Arbeitsuchende und die Vermittler. Sie sind auf Zusammenarbeit angewiesen, denn Vermittlung kann natürlich nur gelingen, wenn der Suchende mitwirkt. Wer öffentliche Förderung will, muss deshalb auch die damit verbundene Vermittlung nutzen, um so rasch wie möglich wieder auf eigenen Füßen stehen und arbeiten zu können. Öffentliche Förderung ist deshalb immer mit der gegebenenfalls einzufordernden Erwartung verbunden, dass die Vermittlung auch wahrgenommen wird. Also vor allem, dass ein angebotener, selbstverständlich legaler Arbeitsplatz oder eine Fortbildungsmaßnahme angenommen oder ein Vermittlungstermin auch wahrgenommen wird. Wer sich dem verweigert, muss mit angemessenen Sanktionen rechnen. Um diese Reform guten Gewissens konsequent angehen zu können, hatten wir zuvor die vormalige „Bundesanstalt“ in eine „Bundesagentur für Arbeit“ umgewandelt und die obrigkeitsstaatliche Anmutung durch die eines Unternehmens in öffentlicher Verantwortung ersetzt, das seine Kenntnis des Arbeitsmarktes und sein Ermessen der jeweiligen Gegebenheiten souveräner als früher wahrzunehmen in der Lage war und ist. Ich bin unverändert überzeugt, dass dies auch dem Engagement der Vermittlerinnen und Vermittler zugute gekommen ist, deren Arbeit wir überdies mit Pauschal- statt Einzelfallregeln zu fördern suchten.