Regierungspolitik im Deutschland-Check
Gesetzescheck "Rentenpolitik"

"Auch ökonomisch gesehen ein richtiger Schritt"

Die Bundesarbeitsministerin hat ein Rentenpaket vorgestellt, das aus insgesamt acht Bausteinen besteht. Die Regierung hat aber bisher nur einen der acht Punkte aufgegriffen, nämlich die Senkung des Beitragssatzes. Die Wissenschaftler des IW Köln geben dem Gesamtpaket in ihrer Politik-Bewertung drei von insgesamt fünf möglichen Sternen.

1. Oktober 2012

Was ist geplant?

Die Bundesarbeitsministerin (BMAS) hat ein Rentenpaket verabschiedet, das aus insgesamt acht Bausteinen besteht:

  1. Zuschussrente
  2. Verbesserte Erwerbsminderungsrente
  3. Kombirente
  4. Reha-Budget
  5. Obligatorische Altersvorsorge Selbstständiger
  6. Verbraucherfreundliches Riestern
  7. Freiwillige Zusatzbeiträge
  8. Beitragssatz zur Rentenversicherung für 2013

Der Vorschlag des BMAS umfasst acht Punkte, wobei nur der letzte Punkt (die Neufestlegung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung) von der Bundesregierung am 29. August 2012 in einem Gesetz verabschiedet wurde. Es soll nach der parlamentarischen Sommerpause in den Bundestag eingebracht wird. Das umfassendere Paket wurde dagegen im Kabinett bislang nicht verabschiedet.

Die ersten drei Punkte des Gesetzes (Zuschussrente, verbesserte Erwerbsminderungsrente und Kombirente) wurden bereits im Deutschland-Check von September 2011 bewertet und bleiben deshalb hier unberücksichtigt.

Zur Bewertung stehen noch aus:

  • Reha-Budget: Die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung für die Rehabilitation werden zukünftig an die demografische Entwicklung gekoppelt (ein in Abhängigkeit von der demografischen Struktur der Versicherten „atmender Deckel“).
  • Obligatorische Altersvorsorge Selbstständiger: Für viele Selbstständige gibt es bereits heute eine Altersvorsorgepflicht. Bestehende Lücken insbesondere bei den sogenannten Solo-Selbstständigen werden geschlossen.
  • Verbraucherfreundliches Riestern: Die Transparenz auf dem schnell wachsende Markt für Riester-Produkte soll für die Kunden durch ein standardisiertes Produktinformationsblatt transparenter werden, bestimmte Kostenbestandteile der Anbieter von Riester-Verträgen werden gedeckelt und Riester-Produkte werden einer stärkeren Kontrolle unterworfen. Zudem müssen die Versicherten zukünftig stärker an den Risikoüberschüssen der Versicherer beteiligt werden.
  • Freiwillige Zusatzbeiträge: Arbeitgebern wird die Möglichkeit gegeben, über die Pflichtbeiträge hinaus auf der Grundlage des halben tatsächlichen Arbeitsentgelts, aber maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze, freiwillige Beiträge für ihre Arbeitnehmer in die Rentenversicherung einzuzahlen.

Daneben gilt es, die bereits von der Bundesregierung verabschiedete Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung (8. Punkt) von derzeit 19,6 Prozent auf 19,0 Prozent zum 1. Januar 2013 zu bewerten.

3 Sterne

Bewertung durch das IW Köln: 3 von 5 Sternen

  • Atmendes Reha-Budget sinnvoll. Die Notwendigkeit und Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen ist über die Alterskohorten hinweg nicht gleich verteilt, sondern ältere Arbeitnehmer beanspruchen diese Leistungen in stärkerem Maße als jüngere. Die bisherige Fortschreibung der Reha-Mittel ausschließlich mit dem durchschnittlichen Anstieg der Bruttolöhne je Arbeitnehmer wird dieser Tatsache nicht gerecht.
  • Die Einführung einer demografischen Komponente (Veränderung des Bevölkerungsanteils der 45-67-Jährigen) bei der Festsetzung des Reha-Budgets ist problemadäquat. Diese Neuregelung verursacht in den nächsten Jahren zunächst zusätzliche Kosten pro Jahr von rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Dem stehen aber nicht genau quantifizierbare Einsparungen durch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gegenüber. Das BMAS geht darüber hinaus davon aus, das wegen demografisch bedingt sinkender Bevölkerungszahlen im Reha-intensiven Alter diese Mehrbelastungen langfristig sinken.
  • Vorsorgeverpflichtung für Selbständige steht unter Evaluierungsvorbehalt. Die Altersvorsorge Selbstständiger ist sehr heterogen. Einige Gruppen von Selbstständigen – u.a. Handwerker, Künstler, Publizisten Hebammen und Lehrer – sind schon heute in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Für zahlreiche freie Berufe (z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten u.a.) gibt es berufsständische Versorgungswerte. Viele Selbstständige unterliegen aber bisher keiner Vorsorgepflicht. Damit ist nicht auszuschließen, dass vor allem gering verdienende, aber auch leistungsfähige Selbstständige nicht ausreichend für ihr Alter vorsorgen und im Alter auf Leistungen der vom Steuerzahler finanzierten Grundsicherung angewiesen sind.
  • Grundsätzlich rechtfertigt die Gefahr des Freifahrerverhaltens ein Eingreifen des Gesetzgebers. Ebenfalls ist aus Fürsorgemotiven eine Vorsorgeverpflichtung auch für gering verdienende Selbständige gerechtfertigt, zumal eine Versicherungspflicht auch für abhängig Beschäftigte mit niedrigen Erwerbseinkommen besteht. Dem steht allerdings die Befürchtung entgegen, dass entweder der Weg in die Selbstständigkeit durch zusätzliche Kostenhürden erschwert wird. Oder aber die Verpflichtung zur Altersvorsorge reduziert das Einkommen gerade bei gering verdienenden Selbstständigen so stark, dass sich Erwerbstätigkeit nicht länger lohnt und die Betroffenen ihr Arbeitsangebot zurückziehen. Der Gesellschaft entstehen in diesem Fall höhere Kosten, weil nicht erst im Alter ein Bezug von Grundsicherungsleistungen droht, sondern möglicherweise bereits im Erwerbsalter. Das Rentenpaket trägt diesem Problem zum Teil Rechnung, weil Möglichkeiten der flexiblen Beitragszahlung und einer Beitragsfreiheit in der Existenzgründungsphase eingeräumt werden. Außerdem sollen Selbstständige ein Wahlrecht eingeräumt bekommen zwischen privater Vorsorge oder einer Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Schließlich wird die verpflichtende Altersvorsorge auf die Höhe der Grundsicherung im Alter beschränkt. Die beiden letzten Punkte stehen allerdings auch für die immer noch deutlich unterschiedliche Behandlung von abhängig Beschäftigten und Selbständigen. Mit Blick auf das Ziel, Altersarmut und Freifahrerverhalten zu vermeiden, reicht eine solche Basissicherung zwar aus. Diese Begründung gilt aber auch für die Pflichtversicherten in der Gesetzlichen Rentenversicherung und wirft somit die Frage auf, warum lediglich abhängig Beschäftigte über die Grundsicherung hinaus versicherungspflichtig bleiben. In jedem Fall aber sollte die Einführung einer Vorsorgeverpflichtung mit Blick auf die Arbeitsangebotseffekte evaluiert werden und unter den Vorbehalt möglicher Verdrängungseffekte gestellt werden.
  • Transparentes „Riestern“ ist sinnvoll. Die Verbesserung der Transparenz auf dem Markt für Riester-Produkte ist zu begrüßen. Die Einführung eines standardisierten Produktinformationsblattes erleichtert die Vergleichbarkeit der angeboten Produkte hinsichtlich Kosten und Absicherungsniveaus und wirkt falschen Vorstellungen über das Versorgungsniveau im Alter vor. Dies erleichtert eine individuell rationale Entscheidungsfindung. Sehr dirigistisch und verzichtbar sind allerdings die beabsichtigten gesetzlichen Begrenzungen von Abschluss- und Vertriebskosten. Höhere Kosten können sinnvoll sein, wenn ihnen höhere Erträge gegenüberstehen. Außerdem sind diese Informationen Bestandteil des Produktinformationsblattes und damit transparent. 
  • Zusatzbeiträge ja, aber Schutz vor Missbrauch fehlt. Mit den freiwilligen Zusatzbeiträgen will der Gesetzgeber den Arbeitgebern eine weitere Option zur Absicherung seiner Arbeitnehmer im Alter an die Hand geben. Insbesondere hat der Gesetzgeber mit dieser Neuregelung eine Verbesserung der Absicherung des Risikos der Erwerbsminderung im Blick. Grundsätzlich ist das Eröffnen von Option begrüßenswert, weil dadurch erweiterte Möglichkeiten einer zielgenauen und an den Präferenzen der Beteiligten orientierten Absicherung geboten werden. Allerdings bietet die geplante Neuregelung Missbrauchspotenzial. Bei erhöhtem Risiko einer Erwerbsminderung kann über diesen Weg zulasten der Beitragszahler ohne Gesundheitsprüfung der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente erhöht werden. Deshalb wäre es sinnvoll, eine Mindestbeitragszeit von einigen Jahren vorzusehen, bevor ein erhöhter Anspruch auf Erwerbminderungsrente geltend gemacht werden kann.
  • Versicherungsfremde Zuschussrente nur aus Steuermitteln. Auch wenn sich die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht auf den Vorschlag der Bundesarbeitsministerin zur Zuschussrente festlegen will, liegt mit dem Konzept ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch, der mittlerweile auch in seinen Grundzügen von der Opposition aufgegriffen wird. Deshalb seien hier noch einmal Argumente aus der Bewertung im D-Check vom September 2011 aufgegriffen, die über den Tag hinaus Gültigkeit haben, selbst wenn kein neues Konzept zur Bewertung vorliegt.
  • Während die Leistungsausweitungen bei der Erwerbsminderungsrente und die Aufstockung des Reha-Budgets sich als Versicherungsleistungen interpretieren lassen, die eine Beitragsfinanzierung rechtfertigen, handelt es sich bei der Zuschussrente um eine versicherungsfremde Sozialleistung – sie durchbricht das der gesetzlichen Rentenversicherung zugrundeliegende Prinzip der beitragsbezogen Rente. Die Leistung der Zuschussrente wäre folgerichtig aus Steuermitteln zu finanzieren. Deshalb ist in der weiteren Diskussion grundsätzlich eine hundertprozentige Steuerfinanzierung der Zuschussrente anzumahnen; besser noch wär es, auf die Zuschussrente gänzlich zu verzichten.
  • Beitragssatzsenkung ist regelkonform, ökonomisch geboten und gerecht. Während die bis hierhin diskutierten Punkte bestehendes Rentenrecht modifizieren, folgt eine Beitragssatzsenkung zum Jahreswechsel dem aktuellen Rechtsrahmen. §158 SGB VI schreibt nämlich vor, dass der Beitragssatz gesenkt werden muss, wenn die Schwankungsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung 1,5 Monatsausgaben überschreitet. Insofern sollte dieser Schritt nicht zur Disposition gestellt werden, wie es von vielen Seiten zurzeit geschieht. Auch ökonomisch ist dies ein richtiger Schritt. Die geplante Beitragssatzsenkung führt zu einer Entlastung der Beitragszahler um insgesamt 5,4 Milliarden Euro jährlich, jeweils 2,7 Milliarden Euro für die Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber (inklusive der Beitragssatzsenkung in der knappschaftlichen Rentenversicherung erhöht sich die Entlastung auf insgesamt 7,2 Milliarden Euro). Außerdem sinkt der Bundeszuschuss um mehr als eine Milliarde Euro, ein beiläufiger, aber willkommener Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer wird gestärkt und die Arbeitskosten für Unternehmen sinken, was mit positiven Arbeitsmarktimpulsen verbunden ist. Dabei geht es nicht um eine kurzfristige Senkung, wie vielfach behauptet. Vielmehr kann nach derzeitigem Stand der Beitragssatz bis zum Ende des Jahrzehnts auf dem niedrigeren Niveau gehalten werden. Schließlich würde eine Beitragssatzsenkung im Folgejahr nach der Rentenanpassungsformel auch zu einer kräftigeren Anhebung der gesetzlichen Renten führen – der direkte Schritt zur Sicherung der Versorgungsniveaus im Alter. Zu guter Letzt sei darauf verwiesen, dass es in einem Umlagesystem keine Berechtigung für die Ansammlung eines Kapitalstocks (über die notwendige Schwankungsreserve hinaus) gibt, weil damit verzerrende intertemporale und interpersonelle Umverteilungseffekt verbunden sind.

Dieser Gesetzescheck ist Bestandteil des Deutschland-Checks, eine monatlich erscheinende Dauerstudie der INSM und der WirtschaftsWoche. Insgesamt besteht der Deutschland-Check aus drei Teilen: Die Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung, einer Beurteilung neuer Gesetze und einer Umfrage unter Wirtschaftsexperten, Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

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