Im Deutschland Check Oktober 2011 von INSM und WiWo bewerten Wissenschaftler des IW Köln die "Erweiterung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität sowie den "Regierungsdialog Rente". In einer Umfrage durch die IW-Consult wurden Wirtschaftswissenschaftler nach ihrer Meinung zu den diskutierten Maßnahmen zur Stabilisierung der Euro-Zone befragt.
22. Oktober 2011
Wirtschaftsentwicklung: Auf schwankendem Grund
Die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung hat im September 2011 weiter zugenommen. Für Unruhe und Sand im Getriebe sorgen vor allem die immer neuen Hiobsbotschaften von der europäischen Staatsschuldenfront und vom Finanzmarkt. Die europäischen Regierungschefs tun sich mit einer Lösung der Schuldenkrise erkennbar schwer, was die Finanzmärkte nicht zur Ruhe kommen lässt. Die Ratingagenturen stuften die Bonität hochverschuldeter Euro-Länder zurück, was ebenfalls die Nervosität an den Finanzmärkten anheizte. Schon ist die Rede von einer neuerlichen Bankenkrise und der Notwendigkeit einer Rekapitalisierung europäischer Banken.
Ohne diese Zuspitzung der Krise an den Finanzmärkten - so das Institut der deutschen Wirtschaft Köln in seiner im September vorgelegten Konjunkturprognose - wäre die schwache Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft im ersten Quartal 2011als ein „zyklisches Luftholen im Aufschwung“ interpretiert worden und nicht als Warnung vor einer Trendwende der Konjunktur. Jetzt sei die Sorge verbreitet, „dass der Konjunktur die Luft ausgeht“. Keine Frage: Die Konjunkturentwicklung steht auf schwankendem Grund. Gleichwohl sind aufkommende Rezessionsängste übertrieben. Zwar wird sich das Wirtschaftswachstum in Deutschland eintrüben, aber die deutsche Volkswirtschaft wird mit weiter, wenn auch mit abgeschwächtem Tempo, auf Wachstumskurs bleiben. Das IW Köln erwartet für dieses Jahr noch ein jahresdurchschnittliches Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von knapp 3 Prozent, im nächsten Jahr sollen es dann noch 1 ¼ Prozent sein. Das Expansionstempo läge dann in etwa auf dem Durschnitt der Euroländer, aber einen halben Prozentpunkt unter dem Industrieländerdurchschnitt. Deutschland wäre dann nicht mehr die Wachstumslokomotive in Europa.
Eigentlich spricht die gute Arbeitsmarkt- und Einkommensentwicklung in diesem Jahr für einen starken privaten Konsum als Wachstumstreiber. Und die hohen Auslastungsgrade der Produktionskapazitäten lassen für sich genommen eine Investitionstätigkeit der Unternehmen auf hohem Niveau erwarten. Aber die Marktakteure sind derzeit verunsichert und agieren deshalb entsprechend vorsichtig. Hier liegt somit noch ungenutztes Wachstumspotenzial. Es kann sich Bahn brechen, wenn es der Politik bald gelänge, durch eine überzeugende Lösung der Schuldenkrise die Verunsicherung aus den Märkten zu nehmen. Die leicht angezogene Konjunktur-Handbremse zeigt auch Wirkung auf den Wachstumsindex, der nach dem katastrophalen Absturz im August auch im September nachgegeben hat. Nicht so der Arbeitsmarktindex, der auch im September seinen beeindruckenden Aufwärtstrend fortgesetzt hat.
Die September-Ergebnisse im Einzelnen:
Kein neues Bild beim Arbeitsmarktindex. Auch im September wird er von beiden Subindikatoren getrieben:
Damit ist klar, dass der Arbeitsmarktindex auch im September auf Vollbeschäftigungskurs geblieben ist. In den letzten Monaten hatte er sich auf den unteren Trichterrand zubewegt; jetzt hat er sogar wieder etwas Abstand gewonnen und platziert sich in etwa in der Mitte des Vollbeschäftigungskorridors.
Der Wachstumsindex konnte den freien Fall aus dem Monat August im September nur abschwächen, aber nicht gänzlich stoppen. Wie schon im Vormonat haben auch im September alle drei Subindikatoren zu dieser negativen Entwicklung beigetragen:
Was ist geplant?
Es geht um die Umsetzung der Beschlüsse mehrere Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone im Jahr 2011, die die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) – vulgo Euro-Rettungsschirm - handlungsfähiger machen sollen. Diese Beschlüsse bedürfen der parlamentarischen Ratifizierung in den Eurostaaten. Es geht in erster Linie um folgende Aspekte:
1) Finanzielle Aufstockung des Garantierahmens
Das Bundesfinanzministerium wird vom Deutschen Bundestag ermächtigt, Gewährleistungen bis zur Höhe von rund 211 Milliarden Euro für Finanzierungsgeschäfte der EFSF im Rahmen von so genannten Notmaßnahmen zu übernehmen, die unter bestimmten Umständen zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit eines Euro-Mitgliedsstaates getroffen werden können. Bislang lag die maximale Gewährleistung gemäß StabMechG vom 22. Mai 2010 bei maximal 123 Milliarden Euro. Der Gewährleistungsrahmen kann wie bisher um bis zu 20 Prozent überschritten werden.
2) Schaffung zusätzlicher Instrumente
Die EFSF konnte als Notmaßnahme bislang lediglich Darlehen direkt an betroffene Euro-Mitgliedsstaaten zur laufenden Haushaltsfinanzierung und für den laufenden Schuldendienst - und damit zum Erhalt seiner Zahlungsfähigkeit vergeben. Nun sind auch Darlehen an Mitgliedsstaaten zur Rekapitalisierung von dort ansässigen Finanzinstituten, vorsorgliche Maßnahmen (etwa Darlehensbereitstellungen ohne Auszahlung) sowie Ankäufe von Staatsanleihen des Mitgliedsstaates am Primär- und Sekundärmarkt möglich – letzteres aber nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die von der EZB festzustellen sind.
3) Bindung der Notmaßnahmen an Wahrung der Stabilität des Euro-Währungsgebietes sowie an Auflagen
Notmaßnahmen können auf Antrag eines Euro-Mitgliedsstaates ergriffen werden, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt zu wahren. Auch die neuen Hilfen sind an strenge Auflagen gebunden – also grundsätzlich an ein wirtschafts- und finanzpolitisches Reformprogramm.
4) Beteiligung des Deutschen Bundestages
Neu gefasst wurden die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages. Bislang musste sich die Bundesregierung lediglich darum bemühen, vor der Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen der EFSF Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages herzustellen. Nun ist die explizite Zustimmung des Deutschen Bundestages zu Beschlussvorschlägen nötig, die seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung berühren. Wichtigen organisatorischen oder operationellen Beschlüssen im Rahmen der EFSF muss daneben der Haushaltsausschuss zustimmen. Ohne diese Zustimmung darf die Bundesregierung in Brüssel nur mit Nein stimmen. Bei besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit nimmt ein Untergremium des Haushaltsausschusses die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages wahr.
Bewertung durch das IW Köln: 5 von 5 Sternen
Begründung:
Was ist geplant?
Die Bundesarbeitsministerin hat Anfang September einen Dialog mit Fachpolitikern, Vertretern der Rentenversicherung, Gewerkschaften und Arbeitgebern begonnen, um Entwicklungen in der Arbeitswelt und gesellschaftliche Veränderungen darauf hin zu untersuchen, ob und welche Risiken diese für eine mögliche Bedürftigkeit im Alter bergen. Geplant ist, nach der Diskussion im Herbst 2011 das Gesetzgebungsverfahren bis zur Sommerpause 2012 abzuschließen; mögliche rechtliche Änderungen sollen dann zum 1.1.2013 in Kraft treten.
Die Bundesarbeitsministerin ist mit drei konkreten Vorschlägen in die Diskussion eingestiegen:
1. Zuschuss-Rente. Unter der Vorgabe, die Rente solle Lohn für Lebensleistung sein, wird eine Aufstockung von gesetzlichen Rentenansprüchen angestrebt, die bislang unter dem Niveau der bisherigen Grundsicherungsleistungen von etwa 685 Euro pro Monat bleiben. Angepeilt ist ein Niveau von 850 Euro. Diese Aufstockung soll aber nur für jene Personen gelten, die tatsächlich ein Leben lang gearbeitet haben, und ist deshalb an strenge Vorgaben gebunden: Ab 2023 kommen nur jene Personen in den Genuss einer Zuschuss-Rente, die 45 Jahre Versicherungszeiten nachweisen können und davon 35 Jahre Beiträge gezahlt sowie zusätzlich privat vorgesorgt haben („Riester-Rente“). Während der Einführungsphase bis 2023 gelten etwas geringere Schwellenwerte.
2. Verbesserte Erwerbsminderungsrente. Die Regelungen der Erwerbsminderungsrente werden an die „Rente mit 67“ angepasst. Bislang werden für die Spanne vom Eintritt des Erwerbsminderungsfalls bis zum 60. Lebensjahr Zurechnungszeiten berücksichtigt. Diese sind ausschlaggebend für die Festlegung der Altersrente, die ab dem 60. Lebensjahr gezahlt werden. Analog zur Anhebung der regulären Altersgrenze auf 67 Jahre soll auch bei der Berechnung der Zurechnungszeiten die Altersgrenze analog von 60 auf 62 Jahre steigen.
3. Kombirente. Bei vorzeitigem Bezug einer Teilrente (ab einem Alter von 63 Jahren bis zum jeweils geltenden gesetzlichen Rentenalter) gelten bislang starre und sehr kompliziert zu ermittelnde Hinzuverdienstgrenzen. Zukünftig sollen Versicherte ab dem 64. Lebensjahr eine vorzeitige Teilrente mit den entsprechenden gesetzlichen Abzügen und ihren Hinzuverdienst frei wählen können, wobei der Hinzuverdienst das zuletzt erzielte Bruttoeinkommen nicht überschreiten darf.
Bewertung durch das IW Köln: 3 von 5 Sternen
Begründung:
1. Zuschuss-Rente mit Konstruktionsfehlern:
2. Anpassung der Erwerbsminderungsrente sinnvoll:
3. Kombirente grundsätzlich gute Idee, aber missbrauchsanfällig:
Die hohen Schulden einiger Mitgliedsstaaten haben den Euro-Raum in eine schwierige Situation gebracht, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Auch wenn nicht der Euro selbst in der Krise ist, kann die Schuldenkrise zu einer langfristigen Abschwächung der wirtschaftlichen Perspektiven führen. Um dies zu verhindern, werden in der Politik verschiedenste Lösungsansätze diskutiert, die von der Einrichtung einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung über verfassungsrechtliche Schuldenbremsen bis zu einer geordneten Insolvenz von Staaten reichen.
Zu diesem Themenkomplex wurden für das vorliegende IW-Expertenvotum 96 Professoren für Wirtschaftswissenschaften, die in Deutschland tätig sind, befragt. Die Befragung fand Ende September 2011 statt.
Die zentralen Ergebnisse lauten wie folgt:
Zusammenfassend weisen die geäußerten Meinungen darauf hin, dass Maßnahmen gegen die Schuldenkrise im Euro-Raum darauf ausgerichtet sein müssen, die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten bzw. Standorte zu sichern und zu erhöhen. Die Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen und die Vergemeinschaftung von Schulden werden dabei von den meisten Experten nicht als probates Mittel angesehen. Eher geeignet ist der überwiegenden Meinung zufolge beispielsweise eine Schuldenbremse auf Verfassungsrang.