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Die Bundesregierung darf im Konjunktur-Hoch nicht ins Reform-Tief abgleiten

Merkelmeter von INSM und WiWo – Halbzeitbilanz der Großen Koalition. Haushalt 2008, Mindestlohn und Pflegereform trüben die Halbzeitbilanz der Koalition Merkel-Müntefering.

7. Juli 2007

Berlin/Köln - "Aufschwung für Deutschland - Gute Zeiten entschlossen nutzen". Unter dieses Motto stellte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos Ende der Woche seine Regierungserklärung im Bundestag. Gute Zeiten erlebt Deutschland zurzeit in der Tat, sagt Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Allerdings stellte er zur Präsentation des 8. Merkelmeters - einer vom IW Köln erstellten Analyse des Gesetzgebungsprozesses für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und die WirtschaftsWoche - die Frage, welchen Anteil die Große Koalition am aktuellen Konjunkturhoch habe.

Professor Hüther: "Bei Amtsantritt im Herbst 2005 konnte die Große Koalition vor allem auf die arbeitsmarktpolitischen Vorarbeiten ihrer rot-grünen Amtsvorgänger bauen. Unzweifelhaft haben die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 mit dazu beigetragen, dass mehr Menschen in Beschäftigung kommen. Diesen Kurs hat Schwarz-Rot bisher im Wesentlichen fortgeführt. Vor allem bei der Rente mit 67 haben Müntefering und Merkel aber auch mutig eigene Akzente gesetzt. Trotz aller Kritik im Detail ist auch die Unternehmenssteuerreform auf der Haben-Seite der Großen Koalition zu nennen. Denn dadurch wird Deutschland für nationale und internationale Investoren attraktiver. Beim Bürokratieabbau und mit der Föderalismusreform wurde ebenfalls Positives erreicht."

Schwarz-Rot könne den Aufschwung jedoch ganz sicher nicht für sich alleine reklamieren - einen großen Anteil am Aufschwung haben die Unternehmen, meint Hüther: "Deutschland lebt wirtschaftlich auf, weil sich die Weltmärkte seit Jahren sehr dynamisch entwickeln und weil unsere Unternehmen nach schmerzhaften Umstrukturierungen wettbewerbsfähiger geworden sind. Auch die moderaten Lohnabschlüsse der Gewerkschaften und Arbeitgeber haben in den letzten Jahren dazu beigetragen."

Deutliche Kritik vermeldet das Merkelmeter am Etatentwurf 2008 der Bundesregierung. "Finanzpolitisch agiert die Bundesregierung hier unambitioniert und verliert sich in undurchsichtigen Verschiebebahnhöfen", erklärt dazu INSM-Geschäftsführer Max A. Höfer. Beispiele dafür:

  • Die Bundesregierung will aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung insgesamt 5 Milliarden Euro abzweigen, um die Eingliederungskosten für ALG II-Empfänger mitzufinanzieren. Ein Teil des Geldes soll auch Verwaltungskosten decken, die vom Bund zu tragen sind. Auf diese Weise verspielt die Bundesregierung die Chance, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung weiter zu senken. Das aber würde die Arbeitskosten senken und sich positiv auf das verfügbare Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auswirken.
  • Das Merkelmeter bemängelt zudem, dass die Bundesregierung den Haushalt nicht entschlossen genug konsolidiert, wo sie doch angesichts sprudelnder Steuereinnahmen bereits 2008 die Chance dazu hätte. Zitat aus dem Gutachten: "Sogar unter Berücksichtigung der Einnahmeausfälle aus jetzt vom Bundesrat endgültig beschlossenen Unternehmenssteuerreform hätte das Bundesministerium der Finanzen im nächsten Jahr einen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorlegen können."
  • Die mittelfristige Finanzplanung sieht zudem vor, dass der Anteil der Investitionen weiter zurückgeht. Bis 2011 soll der Investitionsanteil von derzeit 8,6 auf 8,2 Prozent der Bundesausgaben sinken. "Damit wird Zukunftskapital verspielt. Deutschland lebt letztlich weiter von der Substanz", kommentiert INSM-Geschäftsführer Höfer.

Insgesamt, so ergänzt IW-Direktor Hüther, zeige die jüngste Ausgabe der Dauerstudie Merkelmeter, "dass die Bundesregierung das reformpolitische Kapital zu verspielen droht, das sie in der ersten Halbzeit dieser Legislaturperiode aufgebaut hat." Große Gefahren für Beschäftigung und Wachstum gehen nach Auffassung Hüthers von zwei aktuellen Koalitionsbeschlüssen aus:

  • die geplante Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland und
  • eine "Reform" der Pflegeversicherung, die die Zukunftsprobleme der Pflege in einer alternden Gesellschaft nicht löst. 

Die Kritik zu diesen Beschlüssen im Einzelnen

Mindestlöhne: Im Koalitionsausschuss haben Union und SPD sich auf die flächendeckende Einführung branchenspezifischer Mindestlöhne geeinigt. Dies wollen sie über die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und die Aktualisierung des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes erreichen. Das Entsendegesetz wurde 1996 von der Regierung Kohl eingeführt. Es sollte vor allem ausländische Unternehmen des Baugewerbes dazu bringen, sich an hiesige Tarifstandards zu halten. Nun sollen weitere Branchen einbezogen werden, die mindestens zur Hälfte tarifgebunden sind. Für die übrigen Wirtschaftszweige sollen Mindestlöhne über das Mindestarbeitsbedingungsgesetz ermöglicht werden. Dieses Gesetz gibt es bereits seit 1952; es wurde jedoch bisher nie angewendet. Unabhängig davon, auf welcher dieser beiden Gesetzesgrundlagen Mindestlöhne kommen werden: Sie werden Arbeitsplätze kosten, vor allem weil viele gering Qualifizierte für die Unternehmen nicht mehr bezahlbar sein werden. Zudem mischt sich der Staat massiv in die Lohnfindung ein und unterhöhlt damit die Tarifautonomie. Mehr Bürokratie ist eine weitere absehbare Folge.

Pflegereform: Zum 1. Juli 2008 will Schwarz-Rot eine Reform der sozialen Pflegeversicherung in Kraft treten lassen. Die Pflegesätze sollen dabei erhöht und die Leistungen auch auf Demente und Alzheimer-Kranke ausgeweitet werden. Dadurch sind massive Beitragssatzsteigerungen vorprogrammiert. Bereits zum 1. Juli 2008 soll der Beitrag um 0,25 Prozentpunkte auf 1,95 Prozent steigen. Hüther: "Die große Koalition pumpt mit dieser "Reform" lediglich mehr Geld in ein Umlagesystem, das aufgrund der gesellschaftlichen Alterung nicht zukunftsfähig ist. Zur erforderlichen Umstellung auf eine Kapital gedeckte Absicherung des Pflegerisikos fehlt ihr der Mut."

INSM-Geschäftsführer Max A. Höfer erklärt mit Blick auf die zweite schwarz-rote Halbzeit: "Die Bundesregierung darf im Konjunktur-Hoch nicht ins Reform-Tief abgleiten. Will sie den Optimismus erhalten, der das Land nach Jahren der Stagnation beflügelt, muss sie in den kommenden zwei Jahren entschlossen auf Offensivspiel setzen." 

Relaunch von www.insm-merkelmeter.de - noch schneller informiert!

Alle Informationen zum aktuellen Merkelmeter finden Sie ab sofort auf www.insm-merkelmeter.de. Diese Webseite wurde komplett neu gestaltet, um, so Projektleiter Carsten Seim, "schnellstmöglichen und umfassenden Zugriff auf alle Informationen zu ermöglichen". So kann die im Auftrag von INSM und WirtschaftsWoche seit der Bundestagswahl erstellte Expertise des IW Köln ab sofort über Schlagworte und nach Aktualität hinterlegte Einzelgesetze erschlossen werden. Wer sich einen wissenschaftlich fundierten Überblick verschaffen will, welche Wachstums- und Beschäftigungsfolgen politische Entscheidungen in Berlin aus wissenschaftlicher Sicht haben, der findet auf www.insm-merkelmeter.de mit wenigen Mausklicks zum Ziel. 

Rückfragen

Projektleitung: Carsten Seim, Tel.: 0221 4981-403, E-Mail: seim@insm.de