Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft
Wolfgang Clement

Wie die Verträge zur deutschen Einheit unsere Wirtschaftsordnung schützen

Vor 70 Jahren wurde unser Grundgesetz beschlossen. Es legte nicht explizit fest, welcher Wirtschaftsordnung die Bundesrepublik Deutschland folgen soll. Das änderte sich vor 29 Jahren. Da trat die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen den beiden deutschen Staaten in Kraft. Seitdem besteht schulbuchmäßig Klarheit über die deutsche Wirtschaftsordnung. Es ist die Soziale Marktwirtschaft.

13. Mai 2019

Dennoch läuft derzeit eine Debatte, ob die von Ludwig Erhard begründete Wirtschaftsordnung unseres Landes nicht unter den besonderen Schutz des Grundgesetzes gestellt werden sollte. Der Münsteraner VWL-Professor Ulrich van Suntum ist dieser Meinung. Weil „das Bewusstsein allmählich zu verblassen“ drohe, „in welchem Maße Wohlstand und Freiheit von der Sozialen Marktwirtschaft geprägt wurden“, hat er eine Initiative gestartet, deren Ziel ist, die Soziale Marktwirtschaft im Grundgesetz zu verankern.

Konkret schlägt der inzwischen von wachsender Unterstützung aus der deutschen Ökonomenszene begleitete Wirtschaftsprofessor eine Neufassung des Artikel 15 des Grundgesetzes (GG)  vor. Dieser Artikel ist in 70 Jahren GG noch niemals angewendet worden, was die Berliner politische Szene aktuell bekanntlich nicht davon abhält, sich an ihm zu ergötzen. Van Suntum hingegen will „die bisherige Formulierung dieses Artikels, welche die Sozialisierung von Grund und Boden sowie von Produktionsmitteln zum Inhalt hat“, schlicht streichen. Dort soll künftig stehen: “Bund, Länder und Kommunen sind in ihren wirtschaftspolitisch relevanten Entscheidungen und Maßnahmen grundsätzlich den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet.“

Richtig, aber was hilft’s? Als Verfechter eines gebändigten Kapitalismus – wie Helmut Schmidt die Soziale Marktwirtschaft charakterisierte - fühle ich mich durch die freiheitlichen Grundrechte unserer Verfassung, durch den Schutz des Privateigentums und die garantierte Koalitionsfreiheit und deren höchstrichterliche Auslegung hinreichend geschützt und unterstützt. Das gilt umso mehr, als uns der  Vertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion der beiden deutschen Staaten vom 1. Juli 1990 die Gewissheit verschafft hat, dass die Soziale Marktwirtschaft auch von Rechts wegen die Wirtschaftsordnung unseres Landes ist.

Denn in diesem Vertrag, dem „Zwilling“ des Vertrages zur deutschen Einheit aus demselben Jahr – erst knapp 30 Jahre alt und hoffentlich noch nicht vergessen? - ist ausdrücklich und erstmalig mit Gesetzeskraft formuliert, was diese Soziale Marktwirtschaft “als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider (deutscher) Vertragspartner“ ausmacht. „Sie wird“, so heißt es im Artikel 1 dieses jeweils mit eindeutigen Mehrheiten von der damaligen DDR-Volkskammer und vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Vertrages, „insbesondere durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen“ bestimmt und sie „trägt den Erfordernissen des Umweltschutzes Rechnung“.

Die Sozialunion wiederum, die laut Artikel 1 „mit der Währungs- und Wirtschaftsunion eine Einheit bildet“, wird „insbesondere bestimmt durch eine der Sozialen Marktwirtschaft entsprechende Arbeitsrechtsordnung und ein auf den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs beruhendes umfassendes System der  sozialen Sicherung“.

Als diese beiden Verträge, die damals  politisch den Weg zur deutschen Einheit bahnten und dazu mit Gesetzeskraft wesentliche rechtliche Grundlagen schufen, lebte das westliche Deutschland schon seit gut 40 Jahren – ganz überwiegend - gut und gern mit seinem Grundgesetz. Und die Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland wie der Abgeordneten der Volkskammer wollte ebenfalls unter den Schutz dieser Verfassung. Und sie haben die Gelegenheit genutzt, diese offensichtlich überzeugende Rechtsordnung mit der Beschreibung einer Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft zu ergänzen, die an Klarheit und Konkretheit schwerlich  zu überbieten ist. Wir dürfen uns darüber freuen – und sollten zufrieden damit sein!

 

Dieser Beitrag erschien am 13.05.2019 als Gastbeitrag in der FAZ.

Wolfgang Clement
Kuratoriumsvorsitzender der INSM