Kampagne: Nachhaltige Rente
Gastbeitrag Rente

Lohnend, gerecht und unpopulär: die Rente mit 70

Was nützt den Betroffenen eine sehr teure Symbolpolitik der Bundesregierung in Sachen Rente, wenn sie über höhere Beiträge und Steuern von ihren Kindern und Enkeln finanziert wird? Wer etwas für steigende Renten und bezahlbare Beiträge tun will, sollte  sich auf den Arbeitsmarkt konzentrieren und das Wirtschaftswachstum fördern. Ganz im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft.

6. Juni 2018

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Meine Mutter hat vor ein paar Monaten ihren 91. Geburtstag gefeiert. Ihre Rente reicht zum Leben, und meine drei Geschwister und ich können sich um sie kümmern. Ein Glück für sie – und für uns. Dass meine Mutter dank der Mütterrente I gut 120 Euro zusätzliche Rente im Monat bekommt, halten einige Politiker für gerecht – sie selber eher für überflüssig. Das Gleiche gilt für die anstehende Mütterrente II, die ihr weitere 120 Euro im Monat einbringen würde. Diese fast 2900 Euro zusätzlich pro Jahr kann man als symbolische Anerkennung ihrer Erziehungsleistung verstehen. Es ist aber eine sehr teure Symbolpolitik, die obendrein über höhere Beiträge und Steuern von ihren Kindern und Enkeln finanziert wird. Aus Sicht der Familie: linke Tasche, rechte Tasche. Aus Sicht der Generationengerechtigkeit: eine Belastung der jüngeren Jahrgänge um jährlich sieben, bald vielleicht sogar elf Milliarden Euro. 

Das Gleiche gilt für das Rentenniveau. Gewerkschaften und Teile der SPD reden vom Rentenniveau, als könne man daran die Höhe der Rente ablesen. Ein Fehlschluss. Das Rentenniveau gibt lediglich an, wie hoch die Rente eines idealtypischen Rentners mit 45 Beitragsjahren und jeweils durchschnittlichen Verdiensten im Verhältnis zum Einkommen eines Durchschnittsverdieners ist. Für meine Mutter und alle anderen Rentnerinnen und Rentner hat sich die Rente in den vergangenen Jahren erhöht, obwohl das Rentenniveau gesunken ist. Auch wenn der Anstieg der gesetzlichen Rente nicht mehr zu 100 Prozent der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttogehälter folgt, so steigen die ausgezahlten Rentenbeträge doch jedes Jahr an – derzeit aufgrund der günstigen Beschäftigungsentwicklung sogar etwas stärker als die Durchschnittsentgelte.  Das Gerede von sinkendem Rentenniveau zeigt sich daher schnell als das, was es ist: politische Stimmungsmache.

Ein gesetzlich fixiertes Rentenniveau würde die Beiträge zur Rentenversicherung innerhalb von nicht mal zwei Jahrzehnten von derzeit 19 Prozent auf über 25 Prozent ansteigen lassen. Eine solche Rechnung den Beitragszahlern zu präsentieren trauen sich offenbar nicht einmal die Anhänger des 48-Prozent-Rentenniveaus. Sie wollen daher noch eine weitere Zahl gesetzlich verankern: den Beitragssatz. Er soll die 20-Prozent-Marke bis 2025 nicht übersteigen. Das Problem dabei: Alles hat seinen Preis, und irgendwoher muss das zusätzliche Geld für die Generation der Babyboomer kommen. Geht es nach dem Willen der großen Koalition, soll dafür die Steuerkasse angezapft werden. Es träfe aber weiter die Gleichen: Die heute Jungen müssten künftig eben nicht nur höhere Rentenbeiträge zahlen, sondern auch höhere Steuern.

Dabei will ich gar nicht behaupten, dass ein sinkendes Rentenniveau folgenlos für die Höhe der Renten wäre. Aber zwischen sinkendem Rentenniveau und sinkenden Renten ist ein himmelweiter Unterschied. Ein Blick in die Zukunft verdeutlicht das. Politik und Wissenschaft gehen davon aus, dass die Renten langfristig pro Jahr um ein Prozent ansteigen werden. Wohlgemerkt kaufkraftbereinigt, das heißt, Preissteigerungen sind bereits einberechnet. Die Folge: Eine vergleichbare Rentnerin des Jahres 2043 wird sich 25 Prozent mehr leisten können als heute meine Mutter. Und das, obwohl das Rentenniveau dann voraussichtlich bei gut 42 Prozent liegen wird statt bei über 48 Prozent wie derzeit.

Wer gleichzeitig Rentenzahlungen und Rentenbeiträge stabilisieren will, kann beides mit einer einfachen Maßnahme erreichen: indem er das Renteneintrittsalter erhöht. Männer, die 1960 mit 65 Jahren in Rente gegangen sind, bezogen durchschnittlich nicht einmal zehn Jahre lang Rente. Inzwischen ist die durchschnittliche Rentenbezugsdauer für Männer auf über 17 Jahre angestiegen. Und die Lebenserwartung steigt weiter. 2040 haben dann 65-jährige Männer eine sehr gute Chance, älter als 85 zu werden. Jeder zusätzliche Monat Rentenbezug ist dabei versicherungsmathematisch nichts anderes als eine Rentenerhöhung. Würde man das Renteneintrittsalter ab 2029 an die Lebenserwartung koppeln, könnte man diesen Effekt fairer verteilen. Drei Monate zusätzlicher Lebenserwartung würden dann zwei Monate länger arbeiten bedeuten. Die Rentenbezugszeit stiege dann um einen statt um drei Monate. Dieses 2:1-Verhältnis entspricht etwa dem derzeitigen Verhältnis zwischen Arbeits- und Rentenzeit. Wenn das rechtzeitig vereinbart und angekündigt wird, können sich alle darauf einstellen. Das schließt auch ein, für diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen früher in den Ruhestand müssen, gezielte Entlastungen zu schaffen.

Wer etwas für steigende Renten und bezahlbare Beiträge tun will, sollte nicht das Rentenniveau zu einem politischen Fetisch machen oder Müttern wahlkampftaktisch das Geld ihrer Kinder und Enkel zustecken, sondern sich auf den Arbeitsmarkt konzentrieren und das Wirtschaftswachstum sichern. Soziale Marktwirtschaft schafft und sichert dann weiterhin Wohlstand für alle – Jung und Alt.

Dieser Gastbeitrag von Hubertus Pellengahr erschien am 06.06.2018 in der WELT.

Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der INSM.