Große Aufgaben
Familie und Beruf

"Kind und Beruf geht nur mit einem guten Netzwerk"

Mimi Skrobecka lebt als alleinerziehende Mutter mit ihrer vierjährigen Tochter Winifred in Berlin. Sie hat für uns ihre Gefühle und Erlebnisse von der Schwangerschaft bis heute geschildert. Wie sieht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf heute aus? Mimi Skrobecka sagt: Es gibt noch einiges zu tun.

12. Mai 2016

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Mimi Skrobecka, alleinerziehende Mutter Mimi Skrobecka (36), Berlin, alleinerziehende Mutter der vier Jahre alten Winifred, arbeitet als Reception und Retail Manager beim Fitnessstudio Holmes Place.

Ich bin ein Arbeitstier, ich liebe es einfach, zu arbeiten, etwas zu schaffen, mit Menschen in Kontakt zu sein. Meine Freiheit wollte ich nicht aufgeben, meine Reisen, meine Ungebundenheit. Meine Schwangerschaft war nicht geplant. Ich – die wilde Hilde, die sieben Tage die Woche kellnerte, Partys feierte, keine Ausbildung hatte – ich sollte Mutter sein? Als klar war, ich bekomme ein Kind, ist für mich erstmal eine Welt zusammengebrochen. Ein Alptraum.

Viele waren skeptisch, sogar dagegen und sagten mir: „Das kannst Du doch nicht machen, Mimi! Was tust Du dem armen Kind nur an? Du kannst ihm oder ihr doch gar nichts bieten.“ Ich habe eine Pro-und-Kontra-Liste gemacht – die Argumente gegen ein Kind füllten zwei Seiten, auf der Seite mit den Gründen für ein Baby stand nur ein gekritzeltes Herzchen, das ich in Gedanken gemalt hatte. Aber das Herzchen siegte. Ich wusste, es würde nicht einfach – ich hatte allerdings keine Ahnung, wie schwer gerade die ersten Monate werden würden.

Ich hatte Angst 

Ich hatte Angst – Angst davor, dass die anderen Recht haben könnten, dass ich das nicht schaffe. Ich zweifelte nicht an mir selbst, aber an den Umständen. Im vierten Schwangerschaftsmonat legte mir mein Arzt einen Haufen unbezahlter Rechnungen vor – mein Arbeitgeber hatte mich nicht versichert und er bezahlte mich auch nicht mehr. Er war pleite und hatte Insolvenz angemeldet. Nun stand ich da: schwanger, keine Ausbildung, keinen Job, kein Geld. Ich habe mich verschuldet, ich musste meine Wohnung aufgeben und umziehen, ich habe meinen Arbeitgeber verklagt, aber das dauerte Monate und Geld habe ich trotzdem keines bekommen. Es gab Momente, in denen ich einfach nicht mehr weiter wusste.

Aber meine Krankenkasse und das Jobcenter hier in meinem Berliner Kiez waren super. Die haben mir bei allem geholfen und mich unterstützt. Durch all den Stress hatte ich bereits in der 23. Schwangerschaftswoche Frühwehen und musste mehrere Male ins Krankenhaus. Danach habe ich die meiste Zeit zuhause verbracht. Das gefiel Winifred in meinem Bauch wohl – so gut, dass sie erst zehn Tage nach dem ausgerechneten Termin zur Welt kam. Wie fast die gesamte Schwangerschaft natürlich begleitet von einigen Komplikationen – Herzstillstand, Not-Kaiserschnitt – aber mein Kind kam davon ganz unbeeindruckt gesund und munter zur Welt.  

All das, was vorher schief gelaufen war, klappte jetzt problemlos. Klar, es hatte sich enorm viel verändert. Nicht nur mein Leben als Mimi, sondern auch mein komplettes Umfeld und mein Alltag. Meine Tochter hat es mir aber ab ihrer Geburt leicht gemacht: Winifred war glücklich, total pflegeleicht, schlief viel, schrie nie – eineinhalb Jahre lang gab es nur sie und mich. Doch irgendwann merkte ich, dass sie sich für andere Kinder interessierte und da war für mich klar: Jetzt oder nie! Jetzt mache ich eine Ausbildung! Also habe ich Winifred im Kinderladen angemeldet. Einfach so? Nein, das wäre natürlich ein Traum gewesen. Den Platz im Kinderladen haben wir durch viel Hartnäckigkeit bekommen. Ich bin immer wieder dort hingegangen, zuerst allein, später auch mit Winifred. Ich denke, es war die Kombination aus Hartnäckigkeit, Dringlichkeit und Glück, dass wir nach einigen Monaten einen Platz bekamen – und etwas mein Bonus als alleinerziehende Mutter.

Im Kinderladen wurde Winnie dann jeden Tag von 8 bis 16 Uhr betreut, sodass ich eine Ausbildung zur Kauffrau für Tourismus und Freizeit machen konnte. Tagsüber Schule, abends lernen – das war echt anstrengend und ohne die Unterstützung von einigen sehr guten Freunden und meiner Mutter hätten wir das nicht so gut geschafft. Den Ausbildungsplatz habe ich übrigens relativ einfach bekommen. Ich wusste, was ich machen wollte und hatte mich direkt an der Schule informiert. Dann bin ich mit den vorbereiteten Unterlagen zum Jobcenter gegangen und die haben das dann quasi einfach durchgewunken und bezahlt.

Kindergartenplatz direkt nach Ende der Ausbildung 

Die Ausbildung ging zu Ende, ich bewarb mich auf Stellen und hatte Glück, ein Fitnessstudio wollte mich einstellen, zuerst auf 450-Euro-Basis, etwas später dann auch Vollzeit. Da spielte es uns in die Karten, dass ich Winnie bereits im Alter von zwei Monaten in der Kita Arche angemeldet hatte. Jetzt, drei Jahre später, bekamen wir einen Platz. Die ersten zwei Jahre wollte ich arbeiten, arbeiten, arbeiten, um mir eine sichere Position zu schaffen und festen Boden unter den Füßen zu haben. Für mich und meine Familie. Ich habe mich voll reingehängt und bin auch zwei Mal befördert worden. Dass ich eine alleinerziehende Mutter bin, war für meine Chefin kein Problem, auch nicht dass ich zeitlich so eingeschränkt war und mich an die Kita-Zeiten halten musste. Ich darf mein Kind auch jederzeit mit zur Arbeit bringen, aber das mag ich nicht und mache das wirklich nur im Notfall.
 

Bei mir läuft es bisher beruflich und familiär rund – allerdings bin ich auch eine Person, die ziemlich viel Energie hat, hartnäckig ist und weiß, was sie will. Daher würde ich dem deutschen System und der Bundesregierung in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine 2 als Schulnote geben. Berücksichtige ich jetzt aber die Erfahrungen meiner Freunde und Bekannten – die sind eher negativ - dann ist es wohl doch eher eine 3 oder 4.

Ich denke, dass manche Mütter, Väter und Eltern einfach auch etwas blauäugig sind. Ich habe mich beispielsweise sehr frühzeitig um einen Platz im Kinderladen und in der Kita gekümmert. Eine Nachbarin fragte mich jetzt – ihre Tochter ist 3 Jahre alt – nach Informationen für einen Betreuungsplatz, den sie ab August benötigen würde. Das ist einfach unrealistisch! Ich habe schlichtweg drei Jahre lang auf den Kita-Platz gewartet. In unserem Kinderladen ist es etwa aktuell so, dass auf zwei freie Plätze 186 Bewerber kommen. Da kann der Staat noch so oft sagen, jeder hat ein Anrecht auf einen Platz – das haut einfach nicht hin. Es ist eine Mischung aus Organisation und Glück, irgendwo einen Platz zu finden. Gefühlte 60 Prozent der freien Plätze gehen ja auch noch an Geschwisterkinder. Das finde ich auch unfair. Ist ein Kind in der Kita sind alle Geschwister, die dann noch kommen, direkt mit untergebracht.

Herausforderung Berlin

Die andere Seite, die wir speziell hier in Berlin auch berücksichtigen müssen: Wir leben in Baby-Boom-City. Der Staat kann ja auch nicht von heute auf morgen aus dem Nichts Erzieher schaffen. Denn es hapert einfach an Betreuungspersonal. Es gibt nicht genügend Erzieher, es gibt nicht genügend Programme, um sich ausbilden zu lassen, und es gibt nicht genug Geld. Dieses ganze Berufsfeld Erzieher müsste mehr gefördert werden. Die Ausbildung ist doch so wichtig, denn diese Menschen betreuen doch Kinder und sind ein wichtiger Teil in deren Erziehung und Heranwachsen. Erzieher verdienen in meinen Augen für das, was sie leisten, viel zu wenig. Ich habe den allergrößten Respekt vor jedem, der in der Kinderbetreuung arbeitet. Das ist wirklich kein einfacher Beruf.

Mehr betriebliche Kinderbetreuungsangebote

Toll wäre eine Kinderbetreuung am Arbeitsplatz. Das würde auch neue Jobs schaffen für Erzieher – ja, das ist ein Stück weit Wunschdenken, aber ich glaube, mehr betriebliche Kinderbetreuungsangebote würden vielen Eltern helfen, Familie und Beruf besser zu vereinen. Gerade für Alleinerziehende ist das finanziell so kaum zu stemmen.

Wenn ich hier im Bergmannkiez durch die Straße laufe, sehe ich die Fenster und Wohnungen. Und hinter fast jeder Scheibe ist ein Kind, eine Familie – und alle rödeln und versuchen, ihr Leben zu organisieren und zu stemmen. Wenn wir uns gegenseitig mehr unterstützen und helfen würden, wäre das ein großer Schritt.

Mit einer Freundin habe ich eine Tandemvereinbarung – von Freitag auf Samstag hat immer einer von uns beide Kinder und kümmert sich, sodass die andere mal etwas Zeit für sich hat. Dieses Sich-gegenseitig-unterstützen, das sollte ausgeprägter sein. Wie oft kommt denn mal ein Angebot von einem selbst an andere, die unsere Hilfe gebrauchen könnten? Viel zu selten. Mehr Miteinander, weniger Wegsehen, weniger Gegeneinander – das wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.