Große Aufgaben
Familie und Beruf

"Wir haben unsere Tochter bei 37 Kitas angemeldet"

Fried-Heye Allers ist 30 und arbeitet als Büroleiter in Berlin. Vor der Geburt seiner Tochter standen seine Frau und er vor einer Menge Fragen: Wer nimmt Elternzeit und wie viel? Welche Auswirkungen sind auf den Job zu erwarten? Die Tochter wird jetzt ein Jahr alt, kommt in die Krippe, und viele Fragen sind unbeantwortet. Ein Erfahrungsbericht.

19. April 2016

Was jetzt zu tun istPosition "Familie und Beruf"

Fried-Heye Allers Der 30 jährige Fried-Heye Allers ist Büroleiter und lebt mit Frau und Tochter in Berlin.

Es gibt 156 familienpolitische Leistungen in Deutschland. Allesamt mit dem Ziel, die Lasten für Familien zu mindern, die durch „Familie“ entstehen. Dieses Dickicht zu überblicken ist kaum möglich und die Wirksamkeit der Maßnahmen ist höchst umstritten – wie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einräumt. Auswirkungen hat das Potpourri an Maßnahmen in jedem Falle, nur die Wirkrichtung ist offen – bei einigen merkt man das im Grunde kaum, andere haben direkten Einfluss auf die eigene kurz- bis mittelfristige Lebensplanung.

Zwei Maßnahmen übten besonderen Einfluss auf die Familien-Entscheidungen aus, die meine Frau und ich getroffen haben. Zum einen das Elterngeld bzw. die Elternzeit und deren rechtlichen Rahmenbedingungen, zum anderen die Möglichkeiten der Kinderbetreuung.

Verantwortung für das eigene Kind ist zunächst nicht nur ein abstraktes Etwas, dem ich als Vater mit „Arbeiten und Geld nach Hause bringen“ genügen könnte. Es ist die Verantwortung dafür, und das Wissen darüber, dass das seelische und körperliche Wohlergehen meiner Tochter direkt von meinen Handlungen und meiner persönlichen Beziehung zu ihr abhängig ist.

Anwesend zu sein ist wichtig, denn ohne lässt sich das dafür erforderliche Vertrauensverhältnis nicht schaffen. Eine der wichtigsten Fragen war also: Wer nimmt welchen Anteil an Elternzeit?

Ein großes Problem bei der Elternzeit liegt in befristeten Arbeitsverträgen, und dies ist vielschichtig. Dass die Elternzeit nicht über das Ende einer Befristung hinaus geht ist für mich kein Problem und hat kaum Einfluss auf unsere Entscheidung ausgeübt, da das Ende meiner Vertragsdauer weit genug in der Zukunft liegt. In vielen, (allen?) befristeten Arbeitsverhältnissen jedoch ist eine Wiederanstellung nach dem Ablauf der Befristung offen. Dies schafft erhebliche Unsicherheit.

Diese Unsicherheit macht Elternzeit weniger attraktiv. Dem Arbeitgeber keinen zusätzlichen Grund für eine nicht-Wiederanstellung liefern zu wollen, ist ein wichtiger Entscheidungsfaktor. Hinzu kommt die finanzielle Unsicherheit bei der Zukunftsplanung – verliere ich meine Anschlussstelle verändern sich meine finanziellen Möglichkeiten drastisch. Dies hat zwei Effekte, man kann sich einerseits den Gehaltsverzicht in der Elternzeit weniger leisten, und senkt damit unmittelbar das erwartete Einkommen in der Zukunft.

Die Inanspruchnahme der Elternzeit senkt andererseits auch mittelbar das erwartete Lebenseinkommen, und zwar drastisch. Kindererziehungszeiten gelten als einer der Hauptfaktoren beim so genannten Gender Pay Gap. Sie haben signifikante Auswirkungen nicht nur auf die absolute Einkommenshöhe, sondern auch auf das zukünftige Einkommenswachstum.

Die Diskussion um die tatsächliche Höhe des Gender Pay Gap ist zwar zumeist ideologisch geprägt, jedoch ist die Frage ob sich Zeiten, in denen vom Arbeitsleben ausgesetzt wird, negativ auf den Marktwert eines jeden auswirken, unstrittig. Ein Karriereknick scheint für Mütter unvermeidlich. Klassische Rollenbilder sehen für Mütter immer noch die Rolle am heimischen Herd vor, starre Arbeitszeitmodelle und wenig Flexibilität im Denken von Führungskräften werden hier als Ursache identifiziert. Dabei spielt zwar auch eine Rolle, dass viele Mütter in Teilzeit an ihre Arbeitsstelle zurückkehren, jedoch ergeht es Frauen, die in Vollzeit wieder die Arbeit aufnehmen, nicht anders.

Home Office, Telearbeit oder andere Beschäftigungsformen die neben einer geeigneten Kinderbetreuung ermöglichen, dass es Müttern leichter fällt ohne substanzielle Karriereeinbußen wieder in den Job einsteigen zu können, sind noch zu wenig akzeptiert. Dabei geht es nicht um einen Rechtsanspruch, das würde wenig erreichen. Vielmehr geht es auch in diesem Bereich um einen umfassenden kulturellen Wandel in der Arbeitswelt.

Darüber hinaus hat die Inanspruchnahme von Elternzeit eine Signalwirkung auf den aktuellen Arbeitgeber, und andere Arbeitgeber in der Zukunft: sie müssen befürchten, dass die Person auch in Zukunft Eltern- oder etwa Pflegezeiten in Anspruch nehmen wird, und somit dem Arbeitgeber dann nicht zur Verfügung steht.

Geringeres erwartetes Lebenseinkommen für den Einzelnen bedeutet auch gesamtwirtschaftlich ein niedrigeres Wohlstandsniveau zu erreichen. Dies ist zwar für den Entscheidungsprozess in meiner Familie nicht unmittelbar wichtig, jedoch versucht der Staat diesen Zielkonflikt zu lösen, in dem er Betreuungsangebote schafft, um den Eltern einen raschen Wiedereinstieg in die Arbeit nach einer Geburt zu ermöglichen. Mittelbar hat es also doch Einfluss.

Für Arbeitnehmer jedenfalls ist die Anreizsituation äußerst komplex. Ökonomisch gesprochen stehen hier verschiedene Anreize einander gegenüber und befinden sich in einem Zielkonflikt. Zukünftiges Einkommen und Wohlstand stehen dem persönlichen Einsatz für das Kindeswohl gegenüber, so lässt sich das etwas zugespitzt zusammenfassen.

Dies führt jedoch zum größten Problem dem meine Frau und ich uns gegenüber gesehen haben: dem Problem der Betreuungsmöglichkeit ab dem Zeitpunkt, zu dem wir beide wieder arbeiten wollten.

Es gibt eigentlich ausreichend viele Kita- und Krippenplätze, um die Nachfrage danach abzudecken. Der in Gesetzesform gegossene Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz sorgt zudem dafür, dass für jedes Kind ein Platz bereitgestellt wird, auch mit Ersatzmaßnahmen wo erforderlich, wie zum Beispiel über Tagesmütter.

Kita-Ausbau in Deutschland

Kita-Ausbau: Jedes 3. Kleinkind in Tagesbetreuung

Das große Problem besteht aber in den intransparenten Entscheidungsmechanismen bei der Vergabe der Plätze in den Kindertagesstätten und der daraus resultierenden Unsicherheit. Ob ein Kind einen Platz erhält oder nicht wird erst kurzfristig vor dem Eintrittstermin mitgeteilt. Wenn man überhaupt eine Nachricht bekommt. Für die Planungssicherheit gegenüber dem Arbeitgeber ist das eine Katastrophe.

Dies führte dazu, dass wir uns, um überhaupt zum nötigen Termin einen Kita-Platz zu haben, im Grunde bei jeder Kita bewarben, derer wir habhaft werden konnten. Ein gängiges Phänomen, wie DIE WELT schreibt. Meine Frau und ich haben unsere Tochter bei über 37 Kitas in unserer Umgebung angemeldet, was in 10 direkten Absagen resultierte und 5 Kitas gar nicht erst antworteten. Unsere Tochter stand dann auf 22 Wartelisten, für Kita-Plätze verteilt über den Lauf eines Jahres, denn manche Kitas nehmen zu jedem Quartal auf, die meisten nur zu Schulbeginn.

Das „verstopft“ das System, ist aber absolut vernünftig. Ein schönes Beispiel für individuell rationale Entscheidungen, die kollektiv irrational sind. Individuell Rational ist dieses Verhalten, wenn man sich vor Augen führt, dass Verzögerungen, wie oben beschrieben, unglaublich teuer sind. Ökonomen gehen von einem Prozent Einkommensverlust je Monat Elternzeit aus.

Die Entscheidungskriterien darüber, wer einen Kita-Platz erhält oder nur auf eine Warteliste kommt, sind fast immer unbekannt. Dass der Träger einer Kita jeweils eigene Kriterien anlegt, ist hierbei nicht das Problem, das Gesetz stellt ihnen dies frei. Die Kriterien und deren Anwendung sind jedoch schlicht nicht einsehbar. Die jeweilige Leitung der Einrichtung wählt im Grunde nach eigenem Gutdünken aus, wer einen Kita-Platz – oder einen Platz auf der Warteliste, oder eine Absage – erhält.

Kita-Leitungen rieten uns dazu, dass wir „öfter mal anrufen“ oder vorbeikommen sollten, dann würde das schon werden. Andere sagten uns nach Besichtigungsterminen zu, unsere Anmeldung „ganz nach oben zu legen“, weil wir anscheinend in ihr Bild von Eltern passten, deren Kind in diese Kita gehen sollte unabhängig davon, ob wir nun in der näheren Umgebung wohnten oder der Betreuungsbedarf klar war. Andere haben direkt klar gemacht, dass vor August 2017 keine Chance bestünde, auch wenn man nach Mai 2016 gefragt hatte.

Dies ist in Hinblick darauf, dass die meisten Kitas staatliche, also kommunale, Mittel als Förderung erhalten höchst fragwürdig. Eine Vergabe öffentlicher Mittel ohne Kontrollmechanismen und transparente Kriterien ist ein Unding. Transparente Verfahren, und wesentlich klarere Kriterien deren Bewertung nachvollziehbar sein muss, könnten ein Mittel gegen diese Probleme sein. Festzuhalten ist, dass aus persönlicher Erfahrung private Kitas eine wesentlich schnellere Antwort auf die Frage nach einem Kitaplatz parat hatten, als öffentliche – nämlich immerhin ein Nein, wenn sich das abzeichnete. Am Ende haben wir uns auch nicht für eine öffentliche Kita entschieden und sind froh, dass die Unsicherheit ein Ende hat.

Neben diesen beiden Problemen bestehen meines Erachtens immer noch große Barrieren, die Vätern die Inanspruchnahme von Elternzeit schwieriger machen. Die gesellschaftliche Rolle in der sich Väter wiederfinden, ausgedrückt beispielsweise durch Rechtfertigungsdruck, steht einem gleichberechtigten Dasein von Frauen und Männern entgegen. Gleichzeitig führt die scheinbare völlige Selbstverständlichkeit der Tatsache, dass die Frauen den Großteil der Elternzeit nehmen, zu einer systematischen Benachteiligung der Frauen. Diese Rollenbilder schaden beiden Geschlechtern auf unterschiedliche Art und Weise. Vätern entgeht Zeit mit ihrem Kind, Kindern die Zeit mit ihren Vätern, und Frauen entgeht Einkommen und somit Selbstbestimmung.

Solange es nicht zu einem kulturellen Wechsel kommt, der nicht einer Frau wie selbstverständlich Elternzeit zubilligt, aber es mit Verwunderung betrachtet, wenn ein Mann dies tut, wird sich die Situation nicht ändern. Hinzu kommt die Unsicherheit eines Kinderbetreuungssystems dass immer noch darauf ausgelegt ist, dass im Zweifel die Frau ihre Arbeitsstelle aufgibt und das Kind betreut, wenn auch nur für Übergangszeiten, wenn sich kein geeignetes Betreuungsangebot findet. Denn über Wahlmöglichkeiten haben wir noch gar nicht gesprochen.