Gerecht durch Marktwirtschaft
Aktion WELT-Ballon

Politik braucht Weitblick

Nicht einmal mehr vier Monate bis zur Bundestagswahl – und viel weiter scheint der Horizont mancher Politiker momentan auch nicht zu reichen. Viele derzeit diskutierte Forderungen – von der Mütterrente bis zum Arbeitslosengeld Q – kommen zwar kurzfristig einer bestimmten Klientel zugute, werden langfristig aber teuer für alle. Ein Plädoyer für mehr Weitblick im Wahlkampf.

1. Juni 2017

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INSM-Weltballon: Politik braucht Weitblick Aus jeder politischen Himmelsrichtung in Berlin kann man (bei gutem Wetter) die klare und überparteiliche Botschaft des Heliumballons sehen: Politik braucht Weitblick.

Die wirtschaftliche Ausgangslage könnte kurz vor der Bundestagswahl nicht komfortabler sein: Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Die Inflation wird 2017 voraussichtlich weiterhin unter zwei Prozent bleiben. Dank der Nachfrage aus den aufstrebenden Schwellenländern florieren Deutschlands Exporte. Und das Bruttoinlandsprodukt wächst zwar seit einer Weile nur langsam, aber doch kontinuierlich. Das macht es Politikern leicht, Wahlgeschenke zu versprechen. Ihre Ankündigungen sind nicht einmal unglaubwürdig – schließlich sprudeln die Steuereinnahmen. Trotzdem ist eine Politik mit Blick auf den schnellen Erfolg beim Wähler alles andere als ratsam. Denn am Horizont lauern so einige Herausforderungen auf Deutschland, die es in der näheren und ferneren Zukunft zu meistern gilt:
 

  • Wenn es nicht gelingt, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, werden die Arbeitslosenzahlen wieder steigen – und auf die Arbeitslosenversicherung rollen neue Kosten zu.
  • Früher oder später wird die Europäische Zentralbank ihre Geldflut stoppen und die Zinsen wieder erhöhen. Für Bund und Länder wird der Schuldendienst dann wieder teurer – und je höher die Zinslasten, desto weniger Spielraum bleibt für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben und vor allem für staatliche Investitionen.
  • Zu den besonders wichtigen Investitionsfeldern zählt zweifelsohne die Digitalisierung. Nach aktuellen Zahlen der Europäischen Kommission belegt Deutschland im Vergleich der EU-28-Länder beim Breitbandausbau nur Platz 24. Hierzulande verfügt gerade einmal jeder 15. Haushalt über einen Glasfaseranschluss – im EU-Durchschnitt ist es jeder fünfte. Noch lässt sich kaum abschätzen, wie sich die Wirtschaftswelt durch Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 verändern wird. Die Augen davor zu verschließen ist allerdings keine Lösung. Es ist Aufgabe des Bildungssystems, junge wie ältere Menschen so auf die digitalen Umwälzungen vorzubereiten, dass Deutschland vom Hinterherstolpernden zum Vorreiter wird.
  • Das Damoklesschwert, das über allem schwebt, ist der demografische Wandel. Zwar schrumpft Deutschlands Einwohnerzahl in den kommenden 20 Jahren nicht in dem Ausmaß wie noch vor gar nicht allzu langer Zeit befürchtet. Doch auch die Zuwanderung von Hunderttausenden Flüchtlingen im jungen Erwachsenenalter kann die Alterung der Gesellschaft nicht umkehren. Im Jahr 2035 wird laut Bevölkerungsprognose des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ein Viertel der Bundesbürger die 67 Jahre überschritten haben – und damit nicht mehr zum erwerbsfähigen Teil der Bevölkerung zählen. Derzeit trifft dies nicht einmal auf ein Fünftel zu.

     

Gefragt ist deshalb eine Politik mit Weitblick, die nicht nur an die Rentner und Wähler von heute denkt, sondern auch an die Erwerbstätigen von morgen.

In deren Interesse ist möglichst alles zu unterlassen, was die Sozialabgaben über Gebühr erhöht. Laut einer Prognose des Sachverständigenrats könnten die Beitragssätze zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung von heute 39,95 Prozent bis 2030 auf 43 Prozent und bis 2040 sogar 45,5 Prozent steigen – und zwar auf Basis des gesetzlichen Status quo, allein infolge der gesellschaftlichen Alterung. Was dies bedeutet, haben Ökonomen des IW Köln für die INSM ausgerechnet : So hätte eine durchschnittliche sozialversicherungspflichtige Doppelverdiener-Familie mit zwei Kindern im Jahr 2030 knapp 1.900 Euro weniger zur Verfügung als heute und müsste 2040 sogar Einbußen von mehr als 3.500 Euro hinnehmen. Die Ersparnisse an Einkommenssteuer sind dabei jeweils schon gegengerechnet.

Wer nun mit einer expansiven Ausgabenpolitik die Beitragssätze noch stärker nach oben treibt, muss sich die Frage nach der finanziellen Zumutbarkeit gefallen lassen. Um beispielsweise das Rentenniveau bei 46 Prozent zu halten, müsste der Rentenbeitrag nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums bis 2040 auf 24,5 Prozent steigen. Schon das wären 2,5 Prozentpunkte mehr als vom Sachverständigenrat veranschlagt. Doch selbst wenn man vorsichtig rechnet und für 2040 nur zwei Prozentpunkte auf die Sozialversicherungsbeiträge aufschlägt, hätte dies für die vierköpfige Musterfamilie nach heutigen Maßstäben einen zusätzlichen jährlichen Einkommensverlust von 1.300 Euro zur Folge.
 

Politik mit Weitblick zu betreiben heißt auch, den nachfolgenden Generationen möglichst wenig Schulden zu vererben.

Zwar ist Deutschlands Schuldenquote von 81 Prozent im Jahr 2010 mittlerweile auf 68 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken und nähert sich damit Schritt für Schritt der im Euro-Stabilitätspakt festgelegten Höchstgrenze von 60 Prozent. Zu verdanken ist dies jedoch vor allem dem Umstand, dass der Staat keine neuen Schulden gemacht hat, während die Wirtschaftsleistung gestiegen ist. Ein Abbau von Schulden hat jedoch kaum stattgefunden. Dies wäre allerdings dringend nötig, um die Zinsbelastung des Staates auch dann im Rahmen zu halten, wenn die EZB ihre Niedrigzinspolitik aufgibt.

Einen konkreten Vorschlag dazu hat das IW Köln gemacht: Um einen moderaten Anstieg des Durchschnittszinses von einem Prozentpunkt über zehn Jahre auszugleichen und das Verhältnis der Zinsausgaben zum BIP konstant zu halten, müsste der Staat anfangs 22,5 Milliarden Euro Schulden pro Jahr tilgen, im Laufe der Jahre würde es dann etwas weniger. Schon bei einem etwas steileren Zinsanstieg um 1,4 Prozentpunkte wären die nötigen Tilgungsraten allerdings mehr als doppelt so hoch. Allein dies veranschaulicht, wie fahrlässig es wäre, die Zinsrisiken zu ignorieren. Denn: Ohne Schuldenabbau steigen die Zinsausgaben des Staates schon im moderaten Szenario bis 2027 real um 10 Milliarden Euro pro Jahr. Beim steileren Zinsanstieg wären es sogar 20 Milliarden Euro. Und dabei bliebe es nicht: Setzt sich der Zinsanstieg mit 1,4 Prozent über zehn Jahre fort, blühen Deutschland 2035 reale Zinsausgaben von 92 Milliarden Euro.
 

Politik mit Weitblick bedeutet nicht zuletzt, heute in Bildung zu investieren.

Allgemeinbildende und berufsbildende Schulen müssen generell baulich, aber vor allem in Sachen Digitaltechnologie auf Vordermann gebracht werden. Lehrer sollten in ihrer Ausbildung besser auf die Vermittlung von digitalem Wissen vorbereitet werden – und dazu bedarf es auch entsprechend ausgestatteter Hochschulen. Letztlich ist der Weg über die Bildung auch die einzige Chance, den Kindern der Geflüchteten Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Auf diese Weise ließe sich auch dem drohenden Fachkräftemangel vor allem in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen beikommen – und die Arbeitslosenversicherung würde vor weiteren Kosten bewahrt.