Die Große Koalition will langjährig Beschäftigte schon ab 63 abschlagsfrei in Rente schicken. Dass der tatsächliche Renteneintritt bereits heute vor der gesetzlich vorgesehenen Grenze liegt, zeigt Dr. Jochen Pimpertz vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) in einem Kurzgutachten für die INSM. Weiterhin wird deutlich: Die Bevölkerung altert in Deutschland weit stärker als in fast allen anderen Industrienationen.
24. April 2014Derzeit plant die Bundesregierung, besonders langjährig Versicherten (mit 45 Beitragsjahren) den Weg zu einem abschlagfreien Rentenbezug mit 63 Jahren zu ebnen. Diese Altersgrenze soll künftig der schrittweisen Anhebung des Rentenalters folgen. Für alle übrigen Versicherten gilt die „Rente mit 67“. Genauer: Aktuell liegt die Regelaltersgrenze für den erstmaligen Rentenbezug ohne Abschlag bei 65 Jahren und 3 Monaten. Mit jedem späteren Jahr erhöht sie sich um einen Monat, ab 2023 in Zwei-Monats-Schritten, bis sie im Jahr 2029 bei 67 Jahren liegt. Zur Erinnerung: Notwendig wurde die Anhebung der Altersgrenze, weil unter anderem die „Riester-Reform“ und die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors absehbar nicht ausreichten, um die gesetzlich definierten Obergrenzen für den Beitragssatz von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und 22 Prozent bis zum Jahr 2030 einzuhalten.
Hierzulande sind es vor allem die demographischen Herausforderungen, die eine „Rente mit 67“ unumgänglich machen. Das Medianalter steigt von derzeit gut 44 Jahren auf über 49 Jahre in 2050. Von den hier betrachteten Industrienationen altert die Bevölkerung nur in Japan noch stärker.
Die Regelaltersgrenze alleine sagt aber noch nichts darüber aus, wann die Menschen tatsächlich vom Arbeitsleben in den Ruhestand wechseln. Nicht nur, aber auch die Ausgestaltung von Frühverrentungsmöglichkeiten kann dazu führen, dass Arbeitnehmer regelmäßig früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Deshalb hat die OECD die offizielle Regelaltersgrenze mit dem Alter verglichen, in dem die 40-jährigen und älteren Arbeitnehmer im Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind (OECD, 2013, 128 f.). Auch wenn der Länderkanon hier etwas anders ausfällt – gegenüber den großen europäischen Volkswirtschaften schneidet Deutschland weniger gut ab:
Auch wenn Deutschland solche Referenzwerte bislang nicht erreicht, so zeigen die bisherigen Reformen doch Erfolg. Das Zugangsalter bei den gesetzlichen Altersrenten ist seit dem Jahr 2000 kontinuierlich gestiegen – bei den Männern von durchschnittlich 62,2 auf mittlerweile 64 Jahre, bei den Frauen von 62,3 auf 63,9 Jahre (Deutsche Rentenversicherung, 2013, 140). Zeitlich fällt dieser Trend mit der flächendeckenden Anwendung von Abschlägen bei vorzeitigem Ruhestand zusammen. Aber auch andere Maßnahmen wie die Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für Ältere oder der Wechsel von der Arbeitslosenhilfe auf Hartz IV sowie die Abschaffung der geförderten Altersteilzeit können diese Entwicklung getrieben haben, ebenso wie die seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts deutlich und nachhaltig gestiege-nen Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer.
Am Rande: Aus langfristiger Perspektive erscheint das derzeit erreichte Zugangsalter keineswegs außergewöhnlich hoch. Jedenfalls lag der Wert bereits in den Jahren vor 1980 bei den westdeutschen Frauen auf vergleichbarem Niveau. Westdeutsche Männer gingen vor 1970 im Schnitt sogar noch ein Jahr später als derzeit in Rente (Deutsche Rentenversicherung, 2013, 140). Dies erscheint umso bemerkenswerter, als die fernere Lebenserwartung 60-Jähriger in den alten Bundesländern im Jahr 1970 noch rund sechs Jahre unter dem heutigen Niveau ge-legen hat und nicht zuletzt deshalb die Rentenbezugsdauer um fast acht Jahre niedriger lag als heute (Deutsche Rentenversicherung, 2013, 159).
Dass die bisherigen Reformen – einschließlich der Anhebung der Regelaltersgrenze – in die richtige Richtung gehen, darauf weisen unter anderen die Berechnungen der Europäischen Kommission hin. In ihren Projektionen rechnet die Kommission damit, dass der Anteil der staatlichen Ausgaben für die Alterssicherung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland um rund ein Viertel von 10,8 Prozent im Jahr 2010 bis auf 13,4 Prozent im Jahr 2060 steigen wird (EU-Kommission, 2012, 101). Zum Vergleich: Im Durchschnitt aller 27 EU-Mitglieder rechnete die Kommission lediglich mit einem Plus von 1,5 Punkten (Abbildung 2). In Großbritannien verschlingen die Ausgaben für die gesetzliche Altersversorgung mit 7,7 Prozent einen deutlich geringeren Anteil am BIP. Aber selbst dort bedeutet ein Zuwachs um 1,5 Punkte bis zum Jahr 2060 „nur“ einen Zuwachs von einem Fünftel. Frankreich wendete dagegen schon 2010 einen deutlich höheren Anteil auf (14,6 Prozent des BIP), muss aber in den nächsten Dekaden nur einen Zuwachs um 0,5 Prozentpunkte verkraften.
Der deutschen Volkswirtschaft droht ein erheblicher Anstieg der Lasten, die aus der gesetzlichen Altersversorgung erwachsen. Auch ohne zusätzliche Leistungsversprechen werden dadurch künftig die wirtschafts- und sozialpolitischen Handlungsspielräume eingeschränkt. Die Finanzierungslasten schultern vor allem die kommenden Generationen von Beitragszahlern. Diese ohnehin bedrohlichen Aussichten werden durch zusätzliche Leistungsversprechen wie der abschlagfreien „Rente mit 63“ für besonders langjährig Versicherte noch verschärft. Stattdessen wäre eine Politik des „Kurshaltens“ notwendig und hilfreich.
BMWI – Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, 2013, Wachstum und Demographie im internationalen Vergleich, Mai 2013
Deutsche Rentenversicherung, 2013, Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2013, Berlin
EU-Kommission, 2012, The 2012 Ageing Report, Economic and budgetory projections for the 27 EU Member States (2010-2060), European Economy 2/2012
EU-Kommission, 2013, Mitteilung der Kommission vom 29.05.2013, Europäisches Semester 2013: Länderspezifische Empfehlungen, Europa aus der Krise führen, COM(2013) 350 final
OECD – Organization for Economic Co-operation and Development, 2013, Pension at a glance 2013: OECD and G20 Indicators, OECD Publishing