Gemeinsam stark
Standpunkt Wolfgang Clement

Mit diesem 7-Punkte-Plan kommen wir stark aus der Krise

Nach drei Monaten im Lockdown, der Stilllegung weiter Teile von Wirtschaft und Industrie und einem Einsatz öffentlicher Mittel, der dem zur Wiederherstellung der deutschen Einheit mindestens nahekommt, wird die Frage dringlich: Wie bringen wir jetzt Wirtschaft und Industrie wieder ins Laufen? Wie kommen wir aus der schwersten Rezession unserer jüngeren Geschichte wieder heraus?

2. Juni 2020

Die wichtigste Antwort vorweg: Wir müssen gemeinsam alles tun, damit aus dieser Rezession keine Depression wird. Und dies unter „Corona“-Bedingungen! Das heißt: Wir müssen Land und Leute aus der „Selbstisolation“ und der „neuen Normalität“ von Hygiene- und Abstandsvorschriften wieder in Bewegung bringen und dazu das Vertrauen der Mehrheit der Bürger in die Wachstumskräfte der Sozialen Marktwirtschaft zurückgewinnen. Das verlangt von Regierung und Parlamenten, aber auch von Wissenschaft und Wirtschaft Klarheit und Wahrheit und – anders als zu Beginn der Krise – volle Transparenz der Entscheidungsprozesse.

Das ist leichter gesagt als getan. Denn jetzt gibt es keine „Bazooka“ mehr. Die öffentlichen Kassen geben nicht mehr viel her, die Schulden explodieren und die Steuereinnahmen stürzen ab. Das verbietet die Verteilung von Steuergeld mit der Gießkanne! Stattdessen muss die Politik jetzt für den fälligen Neustart ein „Kraftpaket“ zuwege bringen, das die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum deutlich verbessert und der immer wieder bewiesenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes gerecht wird:

1. Unternehmenssteuern runter, Soli abschaffen

Es geht vor allem anderen darum, die Leistungskräfte unserer Wirtschaft mit fast vier Millionen kleinen, mittleren und großen Unternehmen zu entfesseln. Der „Lockdown“ hat Alle im Wettbewerb ausgebremst, die Meisten massiv geschwächt und nicht Wenige existentiell gefährdet oder sogar um die Existenz gebracht. Sie brauchen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen schnelle Entlastung. Und dazu braucht es vor allem eine Absenkung der Unternehmensbesteuerung, die hierzulande ohnedies die zweithöchste in Europa ist!

Am schnellsten wirken wesentlich erweiterte Möglichkeiten zur Verlustvor- und -rückverrechnung sowie degressive Abschreibungen auf Investitionen. Beides sollte für Unternehmen aller Größenordnungen vorrangig in Kraft gesetzt werden. Hinzu kommen müssen noch gezielte Hilfsmaßnahmen für bisher kaum bedachte Bereiche wie die der Kulturschaffenden, Veranstaltungsmanager, Reiseveranstalter und Busunternehmer, Schausteller oder Gastronomen. Schubkraft ins gesamte Wirtschaftsleben, für Verbraucher wie insbesondere für mittelständische Unternehmen bringt aber erst eine vorgezogene und komplette Abschaffung des „Soli“, möglichst mit Wirkung vom 1. Juli 2020. Sie ist längst – vermutlich auch aus rechtlichen Gründen – fällig.

2. Kürzung oder Abschaffung der EEG-Umlage

Unsere Strompreise belasten Verbraucher wie Gewerbetreibende über alle Maßen. Der Strompreis an der Börse liegt momentan um 4 Cent, am Normalmarkt im Schnitt bei gut 30 Cent/kWh. Es sind inzwischen – getrieben durch Steuern, Abgaben und EEG-Umlage ­– die europaweit höchsten Strompreise! Das ist nicht länger hinnehmbar. Am besten: die sofortige Abschaffung, mindestens drastische Kürzung der EEG-Umlage, die alsbald in das europäische CO2-Regime überführt werden sollte. Nur so ist Wettbewerbsgleichheit herzustellen.

3. Fonds ausschließlich für Förderung von Innovationsprojekten

Europa muss als große Weltregion im Wettbewerb mit den USA und China endlich sein ganzes wissenschaftliches und wirtschaftliches Potenzial voll zur Geltung bringen. Dazu braucht es vor allem einen gemeinsamen Markt für die Energie- und die Digitalwirtschaft mit gemeinsamen Regeln und Standards und gemeinsamen Netzen.

Der von der Kanzlerin und Präsident Macron favorisierte 500-Milliarden-Fonds als Teil eines noch größeren „Wiederaufbaufonds“ der EU sollte deshalb ausschließlich für die Förderung von Innovationsprojekten auf diesen Feldern und insbesondere für den Auf- und Ausbau von grenzüberschreitenden Netzen, beispielsweise Wasserstoff-Infrastrukturen, genutzt werden. Das käme allen Mitgliedstaaten zugute.

4. In globalen Wettbewerb um Künstliche Intelligenz einsteigen

„Corona“ hat bei uns offensichtlich Augen und Sinne für neue Verfahren und neue Technologien geöffnet. Wir erkennen, dass wir in Wissenschaft und Forschung – beispielsweise in der Biotechnologie – auf Weltklasseniveau sind und auch auf anderen Feldern über ein außerordentliches Potenzial herausragender Forscher und Entwickler verfügen.

Das sollte uns in Deutschland wie in Europa ermutigen, endlich offensiv und mit konzentriertem Mitteleinsatz in den globalen Wettbewerb um und mit den neuen Verfahren und Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Big Data, Quantencomputing, 3D-Druck oder synthetische Biologie einzusteigen. Eine kräftige Erhöhung der im Januar eingeführten Forschungszulage und die Einbeziehung von Unternehmen jeglicher Größe in diese Förderung würden die Innovationskräfte zusätzlich stimulieren.

5. Digitale Bildung vorantreiben

Man muss es so deutlich sagen: Unser Bildungssystem bewegt sich heute leider deutlich unter Weltklasseniveau. Die in diesem Bereich hauptverantwortlichen Länder werden dieser, ihrer wichtigsten Aufgabe nicht gerecht. Bund und Länder gemeinsam sollten deshalb wenigstens jetzt den Neustart nutzen, um nach den Erfahrungen der „Corona“-Zeit das Thema digitale Bildung in Schulen und Weiterbildung von der Hardware bis zur Pädagogik und Didaktik umfassend anzugehen.

Das wird erfahrungsgemäß dauern. Aber ein erster Fortschritt sollte noch in diesem Jahr möglich werden, nämlich: eine digitale Grundausstattung für alle Schulen und – mit Laptop – für alle Schüler ab der fünften Klasse, auch und gerade für Schüler aus den einkommensschwächeren Schichten. Das gebietet die Chancengerechtigkeit und sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

6. Bürokratie abbauen

Flexibilisierung statt immer weitergehender Regulierung des Arbeitsrechts und Bürokratieabbau gehören schon lange zum Repertoire der öffentlichen Diskussionen, wo immer es um Entlastung für die Wirtschaft geht. Von konkreten Fortschritten gibt es für die beiden letzten Amtsperioden der schwarz-roten Koalition im Arbeitsrecht nichts, zum Bürokratieabbau nur wenig zu berichten.

Deshalb sei hier nur ein meines Erachtens origineller Vorschlag des BDI zitiert: „Die Bundesregierung sollte den Nationalen Normenkontrollrat beauftragen, die hundert größten bürokratischen Lasten bei einem Neustart zu identifizieren, um diese kurzfristig auszusetzen und mittelfristig im parlamentarischen Verfahren abzubauen.“

7. Rentensystem zukunftsfähig machen

Eines der für ein Land im demografischen Wandel wichtigsten Themen, nämlich das der Zukunft unserer Altersversorgung, hat die amtierende Koalition über eine zur Ergebnislosigkeit verurteilte Kommission und durch meines Erachtens unhaltbare „Haltelinien“, die über die eigene Amtszeit hinaus gelten sollen, vorerst verbaut. Man darf vermuten, dass sie sich damit den Konflikt um eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit vom Hals halten wollte. Wir sollten uns nichts vormachen: Nicht lange nach der Bundestagswahl 2021 steht die Zukunftsfähigkeit unseres Rentensystems wieder auf der politischen Tagesordnung. Und da gehört sie längst hin!

Quelle: Dieser Artikel erschien zuerst am 28. Mai 2020 auf focus.de

Wolfgang Clement

Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit a.D. und Kuratoriumsvorsitzender der INSM