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Arbeit

Zehn Klischees über den deutschen Arbeitsmarkt – und ihre Widerlegung

Ist die Zahl unbefristeter Arbeitsverträge in Deutschland wirklich so hoch? Schadet oder hilft Zeitarbeit? Können sich die deutschen Arbeitnehmer tatsächlich immer weniger leisten? – Über den deutschen Arbeitsmarkt gibt es viele Vorurteile. Wir haben den zehn gängigsten die Fakten entgegengesetzt.

9. Dezember 2016

INSM-Position zum Arbeitsmarkt

 

Klischee 1
Grafik 1

Es gibt fast nur noch befristete Verträge – gerade für Berufseinsteiger.

 

Die Zahl der befristeten Jobs liegt bei rund 2,5 Millionen. Das klingt viel, entspricht aber lediglich 8,1 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland. Der Anteil der befristeten Arbeitsverträge ging laut Statistischem Bundesamt zudem in den letzten Jahren zurück und war zuletzt so niedrig wie im Jahr 2005.

Es stimmt, dass vor allem Jüngere befristet arbeiten. Angesichts der Tatsache, dass ihre Arbeitsverträge aber auch besonders häufig entfristet werden, ist der Anteil von 17,2 Prozent bei den 25- bis 34-Jährigen nicht übermäßig hoch. In der Gruppe der 35- bis 44-Jährigen arbeiten nur noch 7,4 Prozent mit befristeten Verträgen.

 

Klischee 2
Grafik 2

Es gibt zu viele Akademiker für den deutschen Arbeitsmarkt.

Je besser die Ausbildung, desto sicherer die Perspektive – unter Akademikern liegt die Arbeitslosenquote seit 2007 unter drei Prozent, sagt die Bundesagentur für Arbeit. Und das Studium sorgt nicht nur für Sicherheit, sondern auch für mehr Wohlstand: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat ausgerechnet, dass ein Universitätsabsolvent in Deutschland im Laufe seines Berufslebens eine Million Euro mehr verdient als jemand, der eine Berufsausbildung abgeschlossen hat.

Klischee 3
Grafik 3

Zeitarbeit vernichtet Arbeitsplätze.

Zeitarbeit ist für Unternehmen wichtig, um Produktionsspitzen bewältigen zu können. Als dauerhafter Ersatz für die Stammbelegschaft sind Zeitarbeiter kaum geeignet – dafür sind ihre Arbeitsverhältnisse mit durchschnittlich drei Monaten auch viel zu kurz. Eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit ergibt, dass Zeitarbeit vielen Menschen den Weg zurück in den Arbeitsmarkt ebnet: Im ersten Halbjahr 2015 waren gut zwei Drittel (68 Prozent) der in der Zeitarbeitsbranche neu eingestellten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unmittelbar vorher ohne Beschäftigung und etwa jeder Fünfte war vorher langzeitarbeitslos oder noch nie beschäftigt

Klischee 4
Grafik 4

Ältere haben schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Unternehmen schätzen zunehmend die Erfahrung älterer Mitarbeiter. Seit dem Jahr 2004 hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen 55 und 65 Jahren nahezu verdoppelt – von 2,7 Millionen im Jahr 2004 auf über 5 Millionen im Jahr 2014. Das liegt nicht nur am demografischen Wandel. Denn auch der Anteil der Erwerbstätigen an der Zahl der 55- bis 60-Jährigen insgesamt ist gestiegen: Um 13,2 Prozentpunkte auf 56,5 Prozent. Einen besonders deutlichen Anstieg gab es in der Gruppe der 60- bis 65-Jährigen: Hier stieg die Beschäftigungsquote um 21,1 Prozentpunkte auf 35,0 Prozent. Gegenüber dem Jahr 2004 hat die Zahl der arbeitslosen 55- bis unter 60-Jährigen um knapp ein Fünftel abgenommen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei der Erwerbstätigkeit Älterer in der Spitzengruppe: Nur in Island, Schweden, Norwegen und der Schweiz ist ein noch höherer Anteil der 55- bis 65-Jährigen erwerbstätig.

Klischee 5
Grafik 5

Der Fachkräftemangel ist eine Erfindung der Medien.

Richtig ist, dass es keinen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland gibt. Es existieren aber branchenspezifische und regionale Engpässe, die der Wirtschaft zu schaffen machen. So fehlten laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Oktober 2015 in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen über 173.000 Fachkräfte. Der durch diesen Engpass verursachte Wertschöpfungsverlust wird auf jährlich mindestens 29,5 Milliarden Euro geschätzt. Wachsende Engpässe stellt die Bundesagentur für Arbeit außerdem in Gesundheits- und Pflegeberufen fest. Hier sind etwa 30.000 Stellen unbesetzt.

Klischee 6
Grafik 6

Die Mittelschicht stirbt aus.

Bei der Einkommensverteilung klaffen Wahrnehmung und Wirklichkeit erstaunlich weit auseinander. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung hatten im Jahr 2013 mehr als 60 Prozent der Deutschen ein Einkommen, das zwischen 67 und 200 Prozent des mittleren Einkommens lag und gehörten damit zur Mittelschicht. Ihr Anteil an der Bevölkerung ist bereits seit 2011 stabil und in den vergangenen 25 Jahren kaum gesunken.

Klischee 7
Grafik 7

Die Rente mit 63 beseitigt Gerechtigkeitslücken.

Ein sprunghafter Anstieg der Zahl an Rentnern ist eine enorme volkswirtschaftliche Belastung: Auf der Einnahmenseite fallen Sozialversicherungsbeiträge und Steuern weg, gleichzeitig muss der Staat mehr Geld auszahlen. Nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung sollen die Kosten der Rente ab 63 von jährlich 1,9 Milliarden Euro auf 3,1 Milliarden im Jahr 2030 steigen. Finanzieren müssen das Erwerbstätige über höhere Sozialbeiträge – und die Rentner selbst über Verzicht auf wachsende Renten. Dabei kann sich jeder Fünfte der über 60-Jährigen vorstellen, länger zu arbeiten als gesetzlich vorgesehen, wie eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt.

Klischee 8
Grafik 8

Arbeitnehmer können sich immer weniger leisten.

Kein plötzlicher Reichtum, aber ein solides Wachstum – seit der überstandenen Wirtschaftskrise legen die Reallöhne in Deutschland beständig zu. Seit 2010 ist der Reallohnindex des Statistischen Bundesamtes um fast sechs Punkte gestiegen. Im Jahr 2015 gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs der Reallöhne von 2,4 Prozent. Die Beschäftigten können sich also von ihrem Gehalt immer mehr leisten.

Klischee 9
Grafik 9

Die Deutschen müssen immer mehr Überstunden machen.

Die Zahl der Überstunden ist seit Anfang des Jahrtausends stark gesunken. Machten die Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2000 noch 1,1 Milliarden Überstunden, waren es im Jahr 2015 nur noch 816 Millionen. Der Grund dafür sind unter anderem flexible Lösungen in den Unternehmen: Arbeitszeitkonten und Gleitzeitregelungen sorgen dafür, dass Arbeitnehmer die Zeit immer effizienter an ihre Lebenswirklichkeit anpassen können

Klischee 10
Grafik 10

Der deutsche Arbeitnehmer ist europaweit der Fleißigste.

Auch wenn es sich manchmal anders anfühlen mag: Im europäischen Vergleich liegt die durchschnittliche deutsche Wochenarbeitszeit ziemlich genau im Mittelfeld. 41,5 Stunden leistete der deutsche Arbeitnehmer pro Woche, das entspricht genau dem EU-Schnitt. Ein wahrer Faulpelz ist nirgendwo zu finden: Dänemark und Litauen liegen ganz knapp unter der Grenze von 40 Wochenstunden. Und in zehn EU-Mitgliedsländern arbeiten die Beschäftigten länger. Spitzenreiter sind Griechenland, Österreich und das Vereinigte Königreich.