Kampagne: Angebotspolitik
Angebotspolitik gegen Arbeitskräftemangel

Frauen, Ältere, Zuwanderer: Potenziale am Arbeitsmarkt besser nutzen

Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften bedroht die Entwicklung der deutschen Wirtschaft, weil Unternehmen viele Stellen nicht mehr besetzen können. Durch den demografischen Wandel und die bevorstehende Verrentungswelle der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre („Baby-Boomer“) wird sich das Problem bald verschärfen. Doch bessere Rahmenbedingungen können bislang nicht genutzte Arbeitspotenziale heben. So geht’s.

14. März 2023

1. Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren und Menschen mit Beeinträchtigung steigern

Was die jährlichen Arbeitsstunden je Erwerbstätigen angeht, hat Deutschland noch Luft nach oben: Im OECD-Vergleich kommt Deutschland auf den letzten Platz. Würden alle Erwerbstätigen in Deutschland eine Stunde pro Woche mehr arbeiten, entspräche dies annähernd 1,8 Millionen zusätzlichen Erwerbstätigen.

Besonders viel Potenzial besteht bei den Frauen: Die Erwerbstätigenquote der Frauen ist niedriger als die der Männer. Und viele Frauen, insbesondere Mütter, arbeiten in Teilzeit: Zwei Drittel aller erwerbstätigen Mütter arbeiteten 2020 in Teilzeit  – bei Vätern in derselben Situation waren es zuletzt nur 7,1 Prozent. Frauen in Teilzeit arbeiteten im Durchschnitt 20,3 Stunden pro Woche.

Bessere Rahmenbedingungen für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und für eine Ausweitung der Wochenstundenzahl bei Teilzeitbeschäftigten sind also zentral: So sollen nach Plänen der Bundesregierung gemeinsam steuerlich veranlagte Paare zukünftig nur noch mit der Steuerklassenkombination IV/IV (mit oder ohne Faktor) vom Ehegattensplitting profitieren. Wenn der weniger verdienende Partner sein Einkommen erhöht, macht sich das im Gegensatz zur Steuerklassenkombination III/V deutlich positiver im Netto-Gehalt bemerkbar. Das ist ein richtiger Schritt. 

Um mehr Frauen eine Erwerbsbeteiligung zu ermöglichen, bleibt nach wie vor der Ausbau der Kinderbetreuung zentral. Vor allem im Grundschulalter scheitert es oft an einer nicht vorhandenen Ganztagsbetreuung. Frauen in Führungspositionen sollten genauso selbstverständlich Elternzeit nehmen wie Männer in derselben Position. 

Auch bei den Älteren gibt es Luft nach oben. Eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung würde für ein längeres Erwerbsleben sorgen und damit den Fachkräftemangel lindern. Grundsätzlich könnte ein flexibles Renteneintrittsalter dafür sorgen, dass Menschen länger im Erwerbsleben bleiben – diejenigen, die noch arbeiten wollen und entsprechend gesund sind, würden das dann wohl eher machen. Steuerliche Anreize für das Arbeiten über das Renteneintrittsalter hinaus sind auch denkbar. 

Um mehr Menschen mit Beeinträchtigungen erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und von ihren Kompetenzen zu profitieren, gilt es in erster Linie Barrieren abzubauen – für beide Seiten. Für Arbeitgeber ist insbesondere ein einfach zugängliches und transparentes Informationsangebot nötig – damit diese Menschen mit Beeinträchtigungen für ihr Unternehmen passgenau finden und einstellen können. Sanktionen gegen Unternehmen für das Nicht-Erreichen von Quoten bei der Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigungen sind dagegen kontraproduktiv. Der Fokus sollte auf der Unterstützung (etwa klare Ansprechpartner und Vorgehensweisen) der Arbeitgeber zum Erreichen der Ziele liegen und nicht auf Sanktionierung.

2. Erwerbslose in Arbeit bringen

Der Arbeitsmarkt in Deutschland befindet sich in einem robusten Zustand – trotz all der jüngsten Krisen (Corona, Ukraine-Krieg). Die Zahl der Erwerbstätigen eilt von Rekord zu Rekord, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Klingt gut, heißt aber: Der Arbeitsmarkt ist weitgehend leergefegt. Umso mehr müssen wir uns bemühen, auch die Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt zurückzubringen, besonders die Langzeitarbeitslosen, also jene, die schon seit mehr als einem Jahr ohne Job sind. Im Februar gab es in Deutschland 2,6 Millionen Arbeitslose. Die Arbeitslosenquote lag bei 5,7 Prozent.

Um das nicht genutzte Arbeitspotenzial zu heben, ist es zentral, die Anreize für Erwerbslose zu erhöhen, wieder schnell einen Job anzunehmen. Eine gute Betreuung und Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit ist wichtig. Für alle, die bereits länger arbeitslos sind, können über bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose beziehungsweise Bürgergeld-Empfängerinnen und -empfänger Erfolge erzielt werden. Die Regierung ist hier eine größere Reform schuldig. Mit der Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 wurde diese verpasst. Vorschlag: Es sollte von den ersten hinzuverdienten Euros besonders viel abgezogen werden und später weniger, so dass es sich lohnt, möglichst viel dazuzuverdienen beziehungsweise im Idealfall sogar Vollzeit zu arbeiten. Aktuell ist es umgekehrt: die ersten 100 Euro sind frei (Grundfreibetrag), dann steigen die Abzüge schrittweise, ab 1200 Euro wird alles angerechnet.

3. Frühverrentung stoppen

Die Rente mit 63 war ein Fehler – das ist heute klar. In Zeiten knapper Arbeits- und Fachkräfte wirkt sie als Verstärker und entzieht dem Arbeitsmarkt zusätzlich wichtige und erfahrene Arbeitskräfte. Genau das Gegenteil ist nötig. Daher ist ein dringendes rentenpolitisches Ziel die Abschaffung von Frühverrentungsanreizen. 

Bei der Einführung 2014 hatte die Rentenversicherung „nur“ jährlich rund 200.000 Antragsteller prognostiziert. Gleich im Jahr 2015 waren es fast 275.000 Rentenzugänge in diese Rentenform. 2021 waren es mit knapp 270.000 nicht viel weniger. Die Zahlen lagen seit 2015 in jedem Jahr deutlich über 200.000. Die Kosten für die Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren sind mittlerweile auf über drei Milliarden Euro pro Monat gestiegen. Sowohl aus Kostensicht als auch mit Blick auf die dringend benötigten Arbeitskräfte ist eine Frühverrentung nicht sinnvoll. Mit der „Rente mit 63“ gehen den Unternehmen zudem besonders erfahrene Mitarbeiter verloren, deren Kompetenzen nur schwer ersetzt werden können.

4. Qualifizierte Zuwanderung ermöglichen

Die Fachkräftelücke, die allein durch die Demografie entsteht, ist nicht mit einer einzelnen Maßnahme zu stopfen. Die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland in den Arbeitsmarkt ist Teil der Lösung, den Fachkräftemangel zu dämpfen. Zur Wohlstandssicherung ist die Erwerbszuwanderung ein wichtiger Baustein. Dadurch kann das Erwerbspersonenpotenzial erhöht werden. Die von der Bundesregierung angestrebte Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten ist daher ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. 

Eine Reihe von Maßnahmen können Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland leichter machen, etwa eine vereinfachte Visumsvergabe, eine zuwanderungsfreundliche Umsetzung der Blue-Card-Richtlinie (beispielsweise Gehaltsschwelle senken für Blue Card, Anzahl der Engpassberufe ausweiten, Arbeitgeber-Wechsel erleichtern auch innerhalb der EU) oder eine bürokratiearme Anerkennung ausländischer Abschlüsse.

Auch ein ausreichendes Angebot an Deutschkursen, eine geringere Steuer- und Sozialversicherungsabgabenlast für Arbeitnehmer (mehr netto vom Lohn) sowie ein modernes, digitalisiertes Deutschland sind wichtige Punkte, um die Attraktivität des Standorts Deutschlands zu erhöhen – denn Deutschland steht auch bei der Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland im internationalen Wettbewerb. Deutschland hat hier einiges zu tun: Eine Studie der OECD zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung stellt aktuell ein schlechtes Zeugnis aus: Deutschland hat im internationalen Wettbewerb um Toptalente für den Arbeitsmarkt an Attraktivität eingebüßt.