Die Menschen
Tarifautonomie schafft ...

Dr. Dieter Hundt

Lesen Sie den Dr. Dieter Hundt Artikel „Tarifautonomie schafft Wachstum, Stabilität und Wohlstand“ in „Das Deutschland-Prinzip“.

31. Juli 2015

Dieser Beitrag erscheint im Original im Buch „Das Deutschland-Prinzip“. Im Buch erörtern 175 prominente Gastautoren Ihre Standpunkte darüber, was  Deutschland stark macht.
Lesen Sie hier eine Auswahl der Beiträge.

 

Tarifautonomie schafft Wachstum, Stabilität und Wohlstand

Wenn ich darüber nachdenke, was Deutschland in den vergangenen Jahren wirtschaftlich stark gemacht hat, fällt mir vor allem unsere funktionierende Tarifautonomie ein. In meiner 17-jährigen Amtszeit als Arbeitgeberpräsident hatte ich nie einen Zweifel, dass dieses im Grundgesetz verankerte System eine besondere Stärke unseres Landes ist.

Seit bald hundert Jahren ist die Tarifautonomie die Grundlage unserer Arbeitsbeziehungen und damit längst ein Markenzeichen der deutschen Wirtschaft – mit einer Bedeutung weit über den Arbeitsmarkt hinaus.

Andere Länder beneiden uns um das System unserer Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften und erkennen an, dass es einer der wesentlichen Gründe dafür ist, dass wir heute besser dastehen als die meisten anderen Industrieländer der Welt.

Die Gestaltung der Tarifautonomie ist eine Zusammenarbeit – nicht die Leistung einer Seite. Sie ist der Erfolg einer gemeinsamen Anstrengung der Sozialpartner in unserem Land; die gemeinsame Leistung der Tarifpartner – von Unternehmen, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände sind – bei aller Unterschiedlichkeit der Interessen – Vertragspartner.

Beide Sozialpartner eint das gemeinsame Ziel, die Bedürfnisse der Betriebe und der Arbeitnehmer und damit die Arbeitsbeziehungen zu einem vertretbaren und sinnvollen Ausgleich zu bringen.

Dies ist uns in den letzten Jahren eindrucksvoll gelungen. Für mich beweist dies, dass die Sozialpartnerschaft in Deutschland hervorragend funktioniert.

Jeder Tarifvertrag – und sei er mit größten Schwierigkeiten errungen worden – ist ein Beleg für die gelebte Sozial- und Vertrauenspartnerschaft. Er ist Ausdruck eines gemeinsamen Grundverständnisses, für das wir als Arbeitgeberverbände ebenso wie die Gewerkschaften mit Nachdruck stehen. Uns eint die Überzeugung, dass die Tarifvertragsparteien am besten in der Lage sind, die jeweilige wirtschaftliche Situation der Branchen und Betriebe einzuschätzen und angemessene Regelungen zu vereinbaren.

In der Sozialpartnerschaft gibt es keinen endgültigen Sieger. Unser System beruht auf einem ständigen Geben und Nehmen, dem laufenden Ausgleich von Gewinn und Verlust.

Die Tarifautonomie und die Flächentarifverträge stießen auch in Deutschland nicht immer auf allgemeine Zustimmung. Es gab Kritik – auch aus unseren eigenen Reihen. Die Arbeitgeber haben die Tarifautonomie zusammen mit den Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten grundlegend modernisiert, flexibilisiert und weiterentwickelt. Von verstaubten Ritualen kann keine Rede sein.

Die Regelung klassischer Tarifmaterien wie Entgelt und Arbeitszeit stellen die Tarifvertragsparteien immer wieder vor neue Herausforderungen. Dabei haben die Tarifpartner stets bewiesen, dass sie auch auf wichtige gesellschaftspolitische Veränderungen sinnvolle und praktikable Antworten geben können. So wurden in zahlreichen Branchen zukunftsfähige Modelle zum Umgang mit dem demografischen Wandel entwickelt. Weitere Beispiele sind bestehende Vereinbarungen zur Qualifizierung, Beschäftigungssicherung und Altersvorsorge.

Deutschland muss sich diese Stärke bewahren. Mit Genugtuung stelle ich fest, dass die für die Tarifautonomie so wichtige Tarifeinheit nun wohl endlich den Weg ins Gesetzblatt finden wird. Mit Sorge sehe ich allerdings, dass sich andererseits Tendenzen breitmachen, die das erfolgreiche System unserer Tarifautonomie und der Sozialpartnerschaft bedrohen. Die Einmischung der Politik in die Lohnfindung durch einen gesetzlich verordneten Mindestlohn ist ein negatives und gefährliches Beispiel.

Je stärker der Staat in die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen eingreift, desto weniger Spielraum bleibt den Tarifpartnern. Das ist für mich eine höchst besorgniserregend Entwicklung. Die Tarifautonomie fördert bis zum heutigen Tag Wachstum und Stabilität sowie Wohlstand und Beschäftigung in unserem Land. Wir sind gut beraten, sie funktionsfähig zu erhalten und auf ihre Stärken zu vertrauen.