Rententricksereien kosten Milliarden"
Hintergrund

Eingriffe in die Rentenformel

Jedes Jahr zum 1. Juli werden die Renten daran angepasst, wie sich die Löhne im Vorjahr entwickelt haben. Die "Rentenanpassungsformel", so die korrekte Bezeichnung, soll eine gerechte Verbindung von Lohn- und Rentenentwicklung sicher stellen, die der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup in einem Interview als „Herzstück des Rentensystems" bezeichnet hat. Die Politik hat unterdessen schon mehrfach in diese Formel eingegrifffen und der jährlichen Anpassung einen weit in die Zukunft reichenden Nachholbedarf beschert.

30. Juni 2009

Eingriffe in die Rentenformel

Seit 1957 gibt es die Formel für eine dynamische Rente. Seit 2001 sind die Rentenversicherer auf eine Bruttolohn-Anpassung übergegangen, die durch Veränderungen des Beitragssatzes zur Rentenversicherung modifiziert wird. Die Politik hat seitdem schon mehrfach in dieses System eingegriffen.

So kam es durch die Aussetzung der „Riestertreppe“ in den Jahren 2008 und 2009 sowie das Aussetzen von Rentendämpfungen in den Jahren 2005 und 2006 zu hohen Mehrausgaben in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Als Folge hat sich nach Berechnungen des Renten-Experten Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen ein Nachholbedarf von Rentendämpfungen in Höhe von 27 Mrd. Euro angesammelt. Die neue Schutzklausel, die den Verzicht auf Rentensenkungen garantieren soll, führt laut Raffelhüschen zu zusätzlichen Kosten von 46 Mrd. Euro. Der gesamte Nachholbedarf wird damit so groß, dass er vorrausichtlich erst 2021 getilgt werden kann.

Rentenanpassungsformel Wikipedia Oft geändert und schwer verständlich: So sieht die Rentenanpassungsformel mathematisch aus.

Der Riester-Faktor

Im Zuge der Rentenreform wurde 2003 der "Riester-Faktor" eingeführt, um einen Lastenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Rentnern zu schaffen. Weil nämlich das Niveau der gesetzlichen Rente langfristig sinkt, müssen die Arbeitnehmer zusätzlich privat für den Ruhestand vorsorgen. Sparen die Beschäftigten aber privat - zum Beispiel mit einer so genannten Riester-Rente für die Altersvorsorge, bleibt ihnen weniger Netto. Diese Belastung für die Arbeitnehmer sollten die Rentner mittragen, indem jede Rentenerhöhung um etwa 0,6 Prozentpunkte vermindert wird.

Doch 2008 und 2009 setzte die Bundesregierung der Riester-Faktor aus, um die Rentner nach Nullrunden nun schnell am Aufschwung zu beteiligen. Dadurch ergab sich 2008 eine um 0,65 Prozentpunkte höhere Rentenanpassung. In gleichem Maße geschieht dies auch jetzt bei der Rentenanpassung 2009, weshalb in disem Jahr trotz Wirtschaftskrise die höchste Rentenerhöhung seit mehr als zehn Jahren gewährt wird.

Der Nachhaltigkeitsfaktor

Der mit dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz 2004 eingeführte Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigt das Verhältnis von Beitragszahlern und Leisungsempfängern. Steigt durch die demografische Entwicklung die Zahl der Rentner in Zukunft im Verhältnis zu den Beschäftigten, wird der Rentenanstieg gebremst. Der Faktor kann die Rente auch zusätzlich steigern, wenn im Gegenteil die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer zunimmt. Dies war in den Jahren 2007 und 2008 wegen der positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt der Fall.

Unter ungünstigen Bedingungen könnten Riester- und Nachhaltigkeitsfaktor aber dazu führen, dass die Rentenanpassung negativ ausfallen könnte. Eine Rentenkürzung nur auf Grund dieser Faktoren wäre die Folge. Deshalb wurde zugleich eine Schutzklausel eingeführt.

Von der Schutzklausel zur "Rentengarantie"

Die Schutzklausel schließt eine Rentenkürzung durch die Anwendung des Riester-Faktors und des Nachhaltigkeitsfaktors aus. Die Rentenanpassung kann daher auch bei stagnierender Einkommensentwicklung und gleichzeitig steigendem Altersvorsorge-Aufwand für die Arbeitnehmer nicht weiter als auf Null reduziert werden. In den Jahren 2005 und 2006 verhinderte die Schutzklausel eine Rentenkürzung, die auf Grund der volkswirtschaftlichen Entwicklung eigentlich hätte erfolgen müssen.

Dagegen sollte die Schutzkausel es ursprünglich zulassen, dass die Renten bei einem Absinken der Bruttolöhne ebenfalls gekürzt werden. Doch der Gesetzentwurf der Bundesregierung für die "Rentengarantie" aus dem Sommer 2009 erweitert die Schutzklausel. Zukünftig soll eine Rentenabsenkung auch im Fall sinkender Löhne verhindert werden und stattdessen eine "Nullrunde" bei der Rentenanpassung erfolgen.

Hintergrund ist, dass wegen der Wirtschaftskrise die durchschnittliche Bruttolohnsumme der Beschäftigten 2009 unter das Vorjahresniveau fallen könnte. Das liegt an der steigenden Zahl von Kurzarbeitern, die als Beschäftigte zählen, aber während der Kurzarbeit weniger verdienen. Damit verringert die Kurzarbeit die durchschnittlichen Bruttolöhne pro Kopf, also die Berechnungsgrundlage der Rentenanpassung. Dies hätte nach der bestehenden Regelung eine Kürzung der Renten im Jahr 2010 zur Folge, was die Bundesregierung verhindern will.

Der Nachholfaktor

Mit dem "Altersgrenzenanpassungsgesetz" im Jahr 2007 wurde der so genannte Nachholfaktor in die Schutzklausel eingebaut. Er bewirkt, dass durch die Schutzklausel verhinderte Rentenkürzungen mit den nächsten Rentenerhöhungen verrechnet werden. Dabei wird ab dem 1. Juli 2011 jede Rentenerhöhung so lange halbiert, bis der Ausgleichsbedarf der Rentenkasse nachgeholt ist.

Der Ausgleichsbedarf, der noch aus den Jahren 2005 und 2006 übrig ist, beträgt laut Rentenversicherungsbericht 2008 in den alten Bundesländern 1,75 Prozent und in den neuen Ländern 1,3 Prozent. In den Jahren 2007 und 2008 fand die Schutzklausel keine Anwendung. Da auch 2009 die Rente steigt, hat sich die Höhe des Ausgleichsbedarfs seitdem nicht verändert.

Falls sich 2010 rechnerisch eine Kürzung der Renten ergäbe, blieben diese durch die erweiterte Schutzklausel zwar stabil, es würde aber zusätzlicher nachholbedarf entstehen. Laut Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Bernd Raffelhüschen würden die Rentenkassen dann schon eine "Bugwelle" von 73 Milliarden Euro an Mehrbelastung vor sich herschieben, die wohl nur noch durch Beitragserhöhungen abgebaut werden könnten.