Nachholfaktor
Hubertus Pellengahr 22. November 2021
Gesetzliche Rente

Warum eine generationengerechte Rente den Nachholfaktor braucht

Das Aussetzen des Nachholfaktors benachteiligt die junge Generation. Die nächste Bundesregierung sollte ihn schleunigst wieder einsetzen. Eine Begründung.


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Grüne und FDP waren bei der Bundestagswahl die Gewinner bei den Erstwählerinnen und Erstwählern. Beide Parteien konnten jeweils knapp ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen. Aber wie stark setzen sich die beiden möglichen Regierungspartner tatsächlich für ihre jungen Wählerinnen und Wähler ein? Wie viel generationengerechte Politik landet im Koalitionsvertrag?

Bei der gesetzlichen Rente können die Parteien den Beweis antreten, dass sie es mit einer Politik zum Wohle junger Menschen ernster meinen, als die vorherigen Koalitionspartner. Wenn sie nämlich den so genannten Nachholfaktor wieder einsetzen.

Der ist von der letzten Bundesregierung bis Ende 2025 ausgesetzt worden und verschiebt aktuell das auf Ausgleich basierende deutsche Rentensystem zum Nachteil der arbeitenden Generation.

Warum ist das so? Die Rentengarantie verhindert in Zeiten wie der Finanzmarkt- oder Corona-Krise – in denen das Lohnniveau einbricht – Kürzungen für die Rentnerinnen und Rentner. Der Nachholfaktor sorgt dagegen dafür, dass später, bei wieder steigenden Löhnen, die Rentenerhöhungen so lange halbiert werden bis die unterbliebene Kürzung ausgeglichen ist.

Ist der Nachholfaktor aber ausgesetzt, geschieht folgendes: Aufgrund der Rentengarantie sinken bei einem Lohneinbruch die Renten nicht. Bei einem später folgenden Lohnanstieg ziehen die Renten wieder an. Selbst wenn die Löhne nur die vorherigen Rückgänge ausgleichen würden, bekämen die Rentnerinnen und Rentner einen Zuschlag ohne vorher einen Rückschlag erlitten zu haben. Im Ergebnis entwicklen sich die Renten überproportional zu den Löhnen.

Rentnerinnen und Rentner profitieren also in einer Wirtschaftskrise von der Aussetzung des Nachholfaktors, die Kosten tragen Beitrags- und Steuerzahlerinnen und -zahler.

Das ist ungerecht. Das Aussetzen des Nachholfaktors benachteiligt die junge Generation. Und zwar dauerhaft. Selbst wenn der Nachholfaktor ab 2026 wieder eingesetzt würde. Denn die verschobene Lastenverteilung wirkt fort. So könnte laut Expertenmeinung der Beitragssatz in der Rentenversicherung ab 2030 jedes Jahr um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte höher ausfallen – zusätzlich zu ohnehin steigenden Rentenbeiträgen.

Das Ziel, die addierten Beitragssätze in den Sozialversicherungen unter 40 Prozent zu halten, würde damit in noch weitere Ferne rücken. Beschäftigte würden zusätzlich belastet, Arbeit noch teurer.

Rentengarantie und Nachholfaktor sind nur im Zusammenspiel gerecht. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Sie sorgen dafür, dass Renten und Löhne sich nicht voneinander entkoppeln.

Und nicht nur die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler müssen für die Aussetzung des Nachholfaktors zahlen. Das Rentensystem wird schon heute stark über Steuern finanziert (ein Drittel des Bundeshaushalts fließt in die Stützung der gesetzlichen Rentenversicherung). Der Mehrfinanzierungsbedarf aus Steuermitteln in Folge der Aussetzung des Nachholfaktors bis Ende 2025 könnte in diesem Jahrzehnt zig Milliarden Euro kosten.

Deshalb:

Der Nachholfaktor muss noch vor der nächsten Rentenanpassung 2022 wiedereingesetzt werden.

Die Alterung der Gesellschaft ist für die umlagefinanzierte gesetzliche Rente Belastung genug. Wenn Rentnerinnen und Rentner in guten Zeiten von steigenden Löhnen und steigendem Wohlstand profitieren, sollten sie auch in Krisenzeiten solidarisch auf übermäßige Rentenerhöhungen verzichten. Das ist fair gegenüber Rentnern, Beitragszahlern sowie künftigen Generationen. Und das ist notwendig, damit das System der gesetzlichen Rente dauerhaft von allen akzeptiert und gerecht bleibt. Es wäre für die Rentnerinnen und Rentner verschmerzbar, denn schließlich würde das Rentenniveau trotz Wiedereinsetzen des Nachholfaktors bei über 48 Prozent bleiben.

SPD, Grüne und FDP werden mutmaßlich die nächste Regierung stellen. Sie werden damit die Möglichkeit haben, die notwendige Stabilität in der gesetzlichen Rente durch die Wiedereinführung des Nachholfaktors herzustellen. Die junge Generation wird es ihnen danken.