Zukunftswahl
Wahlprogramme 2021

Wohin steuert unser Land?

Wahlprogramme 2021

Wohin steuert unser Land?

Finanzen, Klima und Soziales: In ihrer Wirtschaftspolitik unterscheiden sich die Parteien grundlegend. Den Beitrag verfasste Michael Hirz.

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Wahlkampf ist die Zeit der großen Versprechungen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Versprechen und Halten zwei völlig verschiedene Dinge sein können. Dennoch lohnt der Blick in die Bundestagswahlprogramme zumindest derjenigen Parteien, die eine Chance auf Regierungsbeteiligung haben und die damit die Zukunft des Landes gestalten. Welche Prioritäten setzen sie, welche Vorschläge haben sie für die zentralen Herausforderungen? Um welche Wählergruppe bemühen sie sich besonders? Und da gibt es durchaus deutliche Unterschiede.

Daran lässt sich jetzt schon ablesen, wie schwierig oder wie leicht die Parteien nach dem 26. September zusammenfinden, wie anschlussfähig sie untereinander sind, welche Koalitionen in der Lage sein könnten, konstruktiv und sachorientiert zu arbeiten. So oder so: Die nächste Bundesregierung steht mit strapazierten Finanzen, schnellem demografischen Wandel, Energiewende und maroder Infrastruktur vor einer Herkulesaufgabe. Deshalb hier ein Überblick über die unterschiedlichen Positionen auf wichtigen Politikfeldern:

Finanzen und Steuern

Waren die öffentlichen Haushalte des Bundes, der Länder und der Kommunen schon vor Corona strapaziert, hat die Pandemie noch einmal zusätzliche Belastungen verursacht. Im Haushaltsentwurf des Bundes für kommendes Jahr sind 100 Milliarden Euro neue Schulden vorgesehen – angesichts einer Staatsverschuldung von bereits fast 2,3 Billionen Euro ein weiterer gewaltiger Brocken.

Finanzexpertinnen und -experten bereitet zudem die sogenannte implizite Staatsverschuldung Sorgen. Das sind die künftigen Zahlungsverpflichtungen der sozialen Sicherungssysteme wie Renten und Pensionen.

Angesichts des demografischen Wandels ist ein rapider Anstieg der alterungsbedingten Staatsausgaben zu erwarten. Zusätzlich sind erhebliche Mittel notwendig für Klimaschutz, Infrastruktur und Finanzierung der Energiewende. Eine neue Bundesregierung wird also in tiefer werdende Haushaltslöcher schauen. Wie wollen die Parteien damit umgehen?

Die Antwort von Union und FDP auf diese Herausforderung liegt in einer Entfesselung der Wirtschaftskraft. Wie schon in der Finanzkrise soll eine dynamische Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung dafür sorgen, dass die Staatsfinanzen nicht aus dem Lot geraten. Vor allem die Liberalen setzen auf die Kraft der Marktwirtschaft, die durch eine im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Steuerlast für Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger zum Nachteil aller eingeschränkt werde. Steuererhöhungen und eine Fortsetzung des Solidaritätszuschlags lehnen CDU/CSU und FDP daher ab. Im Gegenteil: Sie versprechen Steuersenkungen. Die Gegenfinanzierung sehen sie durch ein dann dynamisiertes Wachstum gedeckt. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer wäre mit beiden nicht zu machen.

Einen anderen Ansatz verfolgen SPD, Grüne und Linke, die den Staatsfinanzen in ihren Wahlprogrammen weniger Platz einräumen oder sie nur marginal behandeln. Einen weiteren Ausbau des Sozialstaats wollen alle drei Parteien vor allem durch Umverteilung angehen. Kleine und mittlere Einkommen sollen (wie es auch Union und FDP vorsehen) entlastet werden, finanziert durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie der Erbschaftssteuer und die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer.

Einigkeit herrscht unter allen Parteien bei der Frage der Entlastung von gering und durchschnittlich verdienenden Personen. Umstritten ist jedoch deren Umfang. Bündnisfähig mit ihren Konzepten sind auf jeden Fall Union und Liberale auf der einen und SPD, Grüne und – mit Abstrichen – Linke auf der anderen Seite.

Klimaschutz, Energie und Verkehr

Zum Klimaschutz bekennen sich alle Parteien. Die teils fundamentalen Unterschiede zeigen sich dann aber vor allem bei der Wahl der Mittel. Klimapolitik gehört bei den Grünen zur DNA und entsprechend sind ihre Ziele am ehrgeizigsten. Sie fordern ein Sofortprogramm, wollen bereits bis 2030 den Ausstoß von Emissionen um 70 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren und bis zum Jahr 2045 Treibhausgas-Neutralität erreichen. Der CO2-Preis soll laut Wahlprogramm bereits ab 2023 auf 60 Euro pro Tonne hochgesetzt werden. Derzeit liegt er bei 25 Euro pro Tonne.

Auch der mögliche Koalitionspartner Union formuliert in seinem Wahlprogramm Ziele und bekennt sich zum Pariser Klimaabkommen. Erreicht werden soll eine CO2-Neutralität ebenfalls bis 2045. Dabei setzen CDU und CSU vor allem auf einen intelligenten Energiemix, einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Verkehrsinfrastruktur und auf marktwirtschaftliche Elemente, die auch technische Innovationen fördern sollen. 

Damit ist sie dicht bei der FDP, die auf einen konsequenten CO2- Deckel und damit am stärksten auf neue Technologien und den Wettbewerb der Ideen setzt. Ähnlich wie die Union will sie mit einem „Carbon- Leakage-Schutz“ auf EU-Basis dafür sorgen, dass Unternehmen nicht abwandern. Nicht überraschend, aber angesichts der jetzt schon überdurchschnittlich hohen Energiekosten in Deutschland wollen die Liberalen die Energiebesteuerung deutlich absenken und sprechen sich für eine „Klimadividende“ aus.

Die SPD verpflichtet sich in ihrem Programm zur Bundestagswahl ebenfalls zum zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Zudem lehnt sie sich mit ihrem Versprechen einer „Mobilitätsgarantie“, die jedem Bürger einen wohnortnahen Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz geben soll, inhaltlich stark an grüne Verkehrspolitik an. Ideen wie einen ticketfreien Nahverkehr unterstützen die Sozialdemokratinnen und -demokraten explizit.

Die Linke fordert einen „sozialökologischen Umbau“ mit einer Verstaatlichung der Energiekonzerne, einem Transformationsfonds mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro, einer CO2-freien, klimaneutralen Wirtschaft bis 2040 sowie einer ökologischen „Mobilitätsrevolution“: 38 Milliarden Euro pro Jahr soll der deutsche Staat dafür in die Hand nehmen.

Auch hier, bei der Klima-, Energie- und Umweltpolitik, wirken die Programme von Union und FDP am kompatibelsten. Ein Jamaika-Bündnis würde ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft erfordern. Ähnlich schwierig wäre, eine rot-grün-rote Koalition zu installieren, da das Vertrauen der Linken in marktwirtschaftliche Mechanismen nahe null ist.

Renten- und Gesundheitssystem

Die Zahl ist beeindruckend: Mehr als ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung geht in Soziales. Das waren im Corona-Jahr 2020 insgesamt 1,19 Billionen Euro. Ein neuer Höchststand. Dennoch finden Parteien, zumal im Wahljahr, neue soziale Unwuchten und versprechen, sie abzubauen. Da Rentnerinnen und Rentner sowie rentennahe Jahrgänge gleichzeitig die treueste Wählerschaft sind, werden sie vor allem von den Volksparteien umworben.

Union und SPD widmen dem Wohlgefühl, aber auch den latenten Besorgnissen dieser Klientel in ihren Programmen große Aufmerksamkeit. Am weitesten geht jedoch die Linke, die das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben und eine abschlagsfreie Rente spätestens mit 65 Jahren garantieren will. SPD und Grüne halten 48 Prozent auch nach 2025 für vertretbar. Alle drei Parteien des linken Spektrums wollen außer Angestellten auch andere Erwerbstätige in die Rentenversicherung einbeziehen.

Die bürgerlichen Parteien, aber auch die Grünen, plädieren für eine Ergänzung des Systems durch eine kapitalgedeckte Säule. Ein Teil des Rentenbeitrags – so die FDP, die von einem starren Renteneintrittsalter wegwill – könnte in eine sogenannte Aktienrente gesteckt werden. Für die
Union wäre ein Pensionsfonds denkbar, in den der Staat von Geburt an für jeden Bürger einzahlt.

Im System der Krankenversicherung wollen CDU/ CSU und FDP grundsätzlich bei der Zweiteilung in gesetzliche und private Versicherung bleiben. SPD und Grüne hingegen fordern eine einheitliche Bürgerversicherung, in die nach dem Willen der Grünen auch Selbstständige, Beamtinnen und Beamte sowie Abgeordnete einzahlen müssen. Auch beim Thema Pflege gibt es zwischen bürgerlichen und linken Parteien eine tiefe Kluft.

Insgesamt setzen die beiden Unionsparteien und die Liberalen stärker auf Flexibilität und Wettbewerb, während vor allem SPD und Linke für mehr Regulierung eintreten, die Linke sogar in der Verstaatlichung von Krankenhäusern und „Pflegekonzernen“ das Heil erblickt.

Digitalisierung

Das Zauberwort der Gegenwart heißt Digitalisierung. Von ihr erwarten alle großen Parteien einen Schub für Wachstum, Wohlstand und Zukunftssicherung. Entsprechend ist man sich einig: Es soll schneller gehen mit der Digitalisierung, der Breitbandausbau forciert werden, alle Regionen vom leistungsfähigen 5-G-Netz abgedeckt werden. Die Union fordert eine Bündelung der Zuständigkeiten in einem eigenen Ministerium, auch die FDP will durch neue Strukturen Dampf machen. Dass die öffentliche Verwaltung riesigen Nachholbedarf bei der Digitalisierung hat, ist Überzeugung aller. Die Krux liegt hier jedoch im Zuständigkeitswirrwarr von Bund und Ländern. Für Union und FDP ist dies Anlass, eine Föderalismusreform zu verlangen.

Wahlen sind Richtungsentscheidungen. Klarer, als gelegentlich vermutet, unterscheiden sich die Grundüberzeugungen der Parteien, stehen unterschiedliche Menschenbilder Pate bei den Programmen – und damit unterschiedliche Verständnisse von der Rolle des Staates. Vertrauen wir seiner Planungsbürokratie alle wichtigen Entscheidungen über unser künftiges Leben und Arbeiten an? Oder glauben wir an die Chancen einer freiheitlichen Gesellschaft? Nicht zuletzt diese Fragen stehen am 26. September zur Abstimmung.


Den Beitrag verfasste Michael Hirz. Er ist Journalist und Moderator. Von 2008 bis 2018 war er Programmgeschäftsführer des Fernsehsenders Phoenix. Für die Soziale Marktwirtschaft engagiert er sich als Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Copyight Foto: privat
Copyright Illustrationen: Alexander Glandien


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