Das Bundeswirtschaftsministerium muss seine zentralen Stärken wieder zur Geltung bringen, indem es für regelgerechten Wettbewerb kämpft und über die umfassende Anwendung marktwirtschaftlicher Grundregeln wacht. Lesen Sie hier das Plädoyer des ehemaligen Arbeitsministers Wolfgang Clement.
16. Februar 2018
Maßstäbe verrutschen nicht nur, wo nichts als Sitte, Anstand und Selbstdisziplin gefordert sind. Sie drohen auch in der Politik im eigentlichen Sinn des Wortes aus dem Lot zu geraten. Die Geringschätzung beispielsweise, die man momentan aus zu vielen fast durchweg abwertenden Äußerungen, zumal von konservativer Seite (!), über Rolle und Rang des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) – oft im Vergleich mit dem angeblich so mächtigen Finanzministerium – zu lesen und zu hören bekommt, ist irritierend. Ich will deshalb doch sagen: Als mir vor Jahr und Tag die Verantwortung auf Zeit für dieses Ministerium übertragen wurde, brauchte ich keinen Einführungskurs, um zu spüren, wie groß und bedeutend die Aufgabe gerade dieses Hauses ist, die Männer wie Ludwig Erhard oder Karl Schiller den Nachfolgenden, gerade denen aus ihrem jeweiligen politischen Sprengel, überantwortet haben.
Die Entscheidung, vor der die Kanzlerin steht, wenn sie den nächsten Bundeswirtschaftsminister bzw. die nächste Bundeswirtschaftsministerin beruft, ist außerordentlich. Wer auch immer künftig an der Spitze dieses Hauses stehen wird, er oder sie muss das Ministerium wieder zu einem „Hort ordnungspolitischen Denkens und Handelns“ machen. Darum geht es in dieser Zeit, in der der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, Oliver Zander, sogar „Züge eines Staatskapitalismus“ ausmacht. Die Stärke des klassischen BMWi liegt weder in der Höhe des Etats noch in der Anzahl der Abteilungen oder Mitarbeiter, sondern einzig im Selbstbewusstsein und der Bereitschaft der Spitze des Ministeriums und ihrer Beamtenschaft, die „Speerspitze einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung“ zu verkörpern (auch wenn das Beharren auf Grundsätzen gelegentlich nervt).
Ja, es ist richtig, Oskar Lafontaine hat im ersten Kabinett Schröder dem BMWi die Grundsatzabteilung entziehen können und damit – bewusst oder unbewusst – das marktwirtschaftliche Wächteramt in der damaligen Bundesregierung geschwächt. Darüber lohnt das Nachdenken. Und mehr noch gilt das für die zuletzt ins Haus geholte Zuständigkeit für die Energiewende. Statt sich für marktwirtschaftliche, grenzüberschreitende Freiheiten und Wettbewerb einsetzen zu können, ist das Haus heute auf dem energiewirtschaftlichen Feld vor allem auf Wirtschaftsplanung programmiert. Hier sind grundlegende Korrekturen, eine Wende der Energiewende gefordert!
Aus dem teils chaotischen Verlauf der aktuellen Regierungspolitik ergibt sich vielleicht die Chance für einen Neustart des Bundeswirtschaftsministeriums als Herz und Hirn der Sozialen Marktwirtschaft. Dazu muss es seine zentralen Stärken wieder zur Geltung bringen, indem es für regelgerechten Wettbewerb kämpft und über die umfassende Anwendung marktwirtschaftlicher Grundregeln wacht. Der Einsatz gegen die stetig anwachsende passive statt aktivierender Sozialpolitik oder für mehr statt weniger Arbeitsmarktflexibilität gehört genauso zur Aufgabenbeschreibung wie das Eintreten für ein leistungsförderndes Steuersystem. Das hört sich einfacher an, als es in den kommenden Jahren voraussichtlich wird. Dazu ein paar Beispiele:
Ein sich auf die wirklich wesentlichen Aufgaben konzentrierendes Staatsverständnis ist in den vergangenen Jahren (fast) in Vergessenheit geraten. Wie übereifrige Helikopter-Eltern umkreisen Politiker ihre Prestigeprojekte und maßen sich an, den Weg zum gewünschten Ergebnis bereits zu kennen und entsprechend steuern zu können. Wenn es dann schiefgeht, will in der Regel keiner die Verantwortung übernehmen (der Berliner Flughafen BER oder der staatliche Kredit in der Air-Berlin-Insolvenz sind dafür nur Beispiele).
Zu viele in der politischen Führung unseres Landes sind – vermutlich seit der globalen Finanzkrise – einer generellen Staatsgläubigkeit verfallen und misstrauen dem Wettbewerb und denen, die daran teilnehmen, auf zu vielen Feldern. Entsprechend kleinkariert fallen die Eingriffe in der Verantwortung von Unternehmen und Selbstständigen aus. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen das hin, wobei ihnen die Rechnung für eine fehlgeleitete Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nicht vor Augen steht: die Kosten der „Rente mit 63“, der „Mütterrente“ oder großzügig vergebener „Haltelinien“ im Rentenrecht bekommen dafür die zu spüren, die derzeit noch im Kindergarten, in der Schule oder in der Ausbildung sind. Und die jährlich rund 25 Milliarden Euro für das EEG gehen in der Stromrechnung der meisten Bürger unter, machen ein paar Investoren glücklich, helfen aber dem Klima kaum. Eine starke Wirtschaftsministerin oder ein starker Wirtschaftsminister muss hier zur marktwirtschaftlichen Vernunft stehen, für Vertrauen statt Misstrauen gegenüber der großen Mehrheit von Bürgern und Unternehmen werben. Der Treue zur Sozialen Marktwirtschaft verdankt dieses Land seine größten Erfolge und sein weltweites Ansehen.
Im Bundeswirtschaftsministerium gibt es zum Glück Männer und Frauen mit der erforderlichen Kompetenz und dem nötigen Überzeugungsvermögen, um auf die Herausforderungen unserer Zeit angemessene ordnungspolitische Antworten geben zu können. Und es gibt auch vergleichsweise junge Politikerinnen und Politiker, die genau die hier gefragten Qualitäten einbringen könnten. Die Bundeskanzlerin muss nur ein wenig über das eingefahrene Berliner Regierungsviertel hinaus und vielleicht sogar in die Kompetenzzentren der Republik schauen.
Ob am Kabinettstisch, im Bundestag oder in der eigenen Partei: Je mehr die nächste Wirtschaftsministerin oder der Wirtschaftsminister im Kabinett oder in der Öffentlichkeit mit marktwirtschaftlicher Überzeugung nervt, desto sicherer können wir alle sein, dass da jemand den Job richtig macht.
Dieser Gastbeitrag von Wolfgang Clement erscheint am 17. Februar 2018 in der FAZ.