Bildung
Schwächen im Bildungssystem aufgedeckt

9 Fakten zu Bildung in Zeiten von Corona

Die Corona-Pandemie hat die Defizite im deutschen Bildungssystem klar aufgezeigt und neue Herausforderungen sichtbar werden lassen. Insbesondere beim Thema Digitalisierung besteht massiver Handlungsbedarf. Diese Faktensammlung beschreibt die aktuelle Lage des Bildungssystems in Deutschland und zeigt, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, damit die Chancengerechtigkeit in der Bildung wieder Gewicht hat.

23. September 2020

Publikation bestellen 9 Fakten herunterladen (PDF)INSM-Position Bildung

Schon seit Jahren müssen die Bildungssysteme der 16 Bundesländer zu Recht viel Kritik einstecken: zu wenig qualifizierte Betreuung für die Kleinen, marode und schlecht ausgestattete Schulen, enttäuschende Platzierungen in internationalen Vergleichsstudien. Jenen Bundesländern, die mit Verbesserungen vorangehen, folgen die anderen zu selten. Und da, wo Reformen angepackt werden, sind klare Leitlinien oft nicht zu erkennen.

Dann kam Corona. Die Folgen der Pandemie haben viele der Probleme verschärft und neue Herausforderungen sichtbar werden lassen. 

Vor allem die unzureichende digitale Ausstattung vieler Schulen erwies sich in der allgemeinen Fernunterrichtsphase im Frühjahr als riesige Hürde. Die Politik hat zwar reagiert, doch die Schulen fit für die Zukunft zu machen ist eine aufwendige, langwierige und vor allem teure Aufgabe.

Die vorliegende Faktensammlung beleuchtet – unter anderem auf der Basis des INSM-Bildungsmonitors 2020 – die aktuelle Lage des Bildungssystems in Deutschland und zeigt, wo und wie Reformen jetzt in Angriff genommen werden müssen.

Bildung fängt im Kindergarten an.

Frühkindliche Bildung spielt für den weiteren Werdegang eines Menschen eine zentrale Rolle. So erreichen Kinder, die vor ihrem fünften Lebensjahr länger als ein Jahr eine Tageseinrichtung besuchen, später deutlich bessere Ergebnisse in den PISA-Tests.

Von der Tatsache, dass der Besuch der Kita gerade die Sprachbildung fördert, profitieren vor allem Kinder aus bildungsfernen Haushalten und jene mit Migrationshintergrund: In mehr als 62 Prozent der Familien von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wird zu Hause nicht die deutsche Sprache gesprochen. Das ist auch gemessen am – auf die jeweilige Landessprache bezogenen – OECD-Durchschnitt von 48 Prozent ein hoher Wert.

Quelle: INSM-Bildungsmonitor 2020, Seite 100; IW-Berechnungen auf Basis der PISA-Daten 2018

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Fehlende Betreuung in der Kita vergrößert Bildungsnachteile.

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, machten in allen Bundesländern ab Mitte März 2020 auch die Kitas dicht. Mitte Mai war Sachsen das erste Land, in dem Eltern ihre Kinder wieder in die Kitas schicken konnten. Andere Länder folgten – wobei der Betreuungsumfang bis zum Sommer oft erheblich eingeschränkt blieb.

Das führt gerade bei jenen Kindern zu Nachteilen, die zu Hause zum Beispiel sprachlich wenig gefördert werden. Schon deshalb müssen Länder und Kommunen Konzepte entwickeln, die in den kommenden Monaten eine möglichst umfangreiche Betreuung in den Kitas gewährleisten. Allerdings litt die Betreuungsqualität schon vor der Pandemie darunter, dass den Kitas zu wenige Erzieherinnen und Erzieher zur Verfügung standen. Im vergangenen Jahr konnten somit 359.000 unter Dreijährige nicht wie gewünscht betreut werden.

Quellen: Bertelsmann Stiftung, 2019

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Längerer Unterrichtsausfall reduziert spätere Einkommenschancen.

Für den schulischen Erfolg von Kindern ist ein kontinuierlicher Unterricht äußerst wichtig. Dies gilt umso mehr, als in Deutschland der sozioökonomische Hintergrund das Abschneiden in der Schule deutlich stärker beeinflusst als im Durchschnitt der OECD-Länder. Schulschließungen aufgrund der Corona-Pandemie drohen das Bildungsgefälle weiter zu vergrößern, denn zu Hause werden die Kinder tendenziell umso weniger unterstützt, je geringer der Bildungsgrad der Eltern ist. Dies kann zu vermehrten Klassenwiederholungen und sogar zu einem niedrigeren Bildungsabschluss führen – mit entsprechenden finanziellen Folgen: Studien zeigen, dass ein Unterrichtsausfall, der einem Drittel des Schuljahrs entspricht, das spätere Erwerbseinkommen der betroffenen Schülerinnen und Schüler um 3 bis 4 Prozent verringert.

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft, 2020, IW-Berechnungen auf Basis der 2018er PISA-Daten

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Wer aus der Ferne lernt, lernt weniger.

Als der reguläre Schulbetrieb infolge der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 weitgehend eingestellt wurde, gab es große Anstrengungen seitens der Lehrer, den fehlenden Präsenzunterricht zu ersetzen. Meist sollten sich die Schülerinnen und Schüler den Lernstoff durch eine Art von Hausaufgaben selbstständig erarbeiten. Doch die dafür erforderlichen Kompetenzen – wie Zeitmanagement oder Priorisierung der Aufgaben – waren vielen Kindern zuvor nicht vermittelt worden.

Auch der zeitliche Umfang des Homeschoolings verdeutlicht, dass diese Lernform den normalen Unterricht nicht ersetzen konnte. So hat sich die tägliche Zeit, in der sich Kinder mit der Schule beschäftigt haben, während der Phase der Schulschließungen im Schnitt von 7,4 auf 3,6 Stunden halbiert. Ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler lernte sogar maximal zwei Stunden pro Tag.

Quelle: ifo Institut, 2020

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Corona erhöht Risiko des Schulabbruchs.

Bereits vor der Corona-Krise hatten in Deutschland fast 7 Prozent der Schulabgänger keinen Abschluss, von den ausländischen Schulabgängern waren es sogar mehr als 18 Prozent. Seit 2013 sind beide Anteile kontinuierlich gestiegen und es besteht die Sorge, dass es aufgrund der Corona-Pandemie demnächst noch mehr Schulabbrecher gibt. Denn im Frühjahr schlossen nicht nur die Schulen ihre Tore, auch Jugendzentren, Sportvereine und ähnliche Einrichtungen machten dicht. Damit fehlten gerade für förderbedürftige Jugendliche jene Orte, an denen sie zum Beispiel von Sozialarbeitern – die zum Teil mit den Schulen kooperieren – auf ihrem (Bildungs-)Weg unterstützt werden. Solche Hilfsangebote sind wichtig, denn Schulabbrüche erhöhen das Arbeitslosigkeitsrisiko: Von allen Langzeitbeziehern der Grundsicherung für Arbeitsuchende hatten im März 2020 fast 27 Prozent keinen Schulabschluss.

Quelle: IW-Berechnungen auf der Basis von Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 1, Tabelle 6-1 (ab 2004), verschiedene Jahrgänge

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Digitale Medien kommen zu selten zum Einsatz.

Schon vor der Corona-Pandemie stand das Thema Digitalisierung an den Schulen auf der Agenda. Bildungsexperten zufolge sollten digitale Medien regelmäßig im Unterricht eingesetzt werden, um den Schülerinnen und Schülern die notwendigen Kompetenzen im Umgang mit Computer, Smartphone und Co. zu vermitteln. Doch zuletzt nutzten hierzulande nur 23 Prozent der Lehrkräfte von Achtklässlern digitale Medien täglich im Unterricht – im internationalen Durchschnitt sind es 48 Prozent. Am ehesten kommen Computer im Informatikunterricht zum Einsatz, Mathematik- und Deutschunterricht werden eher selten digital unterstützt. Dies bestätigt auch die jüngste PISA-Studie, wonach lediglich 6 Prozent der hiesigen Neuntklässler angeben, im Deutschunterricht würden digitale Geräte länger als 60 Minuten pro Schulwoche eingesetzt. Ähnlich niedrig sind die Werte für Mathematik und die Naturwissenschaften. In Dänemark liegen die Anteile weit über 50 Prozent.

Quelle: Eickelmann, Birgit et al., 2019 (Tabelle 8.2, S. 253); IW-Bildungsmonitor 2020, Seite 113f., Tabelle 3-7 (IW-Berechnungen auf Basis der PISA-Daten 2018)

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Vielen Lehrern fehlen digitale Lehrkompetenzen.

Das Digitalisierungsdefizit an deutschen Schulen wurde durch die Schulschließungen im Frühjahr deutlicher denn je offengelegt. Statt digitale Lernplattformen nutzen zu können, mussten die Lehrer oft per E-Mail oder Telefon mit Schülern kommunizieren. Doch selbst wenn die IT-Ausstattung im Schulsystem stimmt, führt dies nicht automatisch zu einer verbesserten Bildung. Entscheidend sind gute Lehr- und Lernkonzepte: Der Einsatz digitaler Medien kann die Kompetenzen vor allem leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler steigern, wenn er dazu dient, neue Ideen und Informationen zu generieren, wie es bei Recherchetätigkeiten und Gruppenarbeiten der Fall ist. Deshalb ist es wichtig, die Lehrkräfte verpflichtend zu schulen – von 2016 bis 2018 haben zum Beispiel nur 31,5 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer freiwillige Kurse oder Webinare über die Integration von digitalen Medien in den Unterricht besucht.

Quelle: Deutsches Schulportal, 2020

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Deutschland hinkt bei Bildungsinvestitionen hinterher.

Deutschland investiert zu wenig in sein Bildungssystem: Nur 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts flossen 2016 an öffentlichen und privaten Mitteln in Bildungseinrichtungen – im OECD-Schnitt waren es 5 Prozent. Dies macht sich auch in der digitalen Ausstattung der Schulen bemerkbar: Hierzulande müssen sich fast zehn Schülerinnen und Schüler einen PC oder einen Laptop teilen – in Finnland zum Beispiel sind es nur gut drei.

Zwar hat die Bundesregierung 2019 den mit 5 Milliarden Euro ausgestatteten Digitalpakt Schule verabschiedet – doch bis zum Frühjahr 2020 wurden kaum Gelder abgerufen. Inzwischen hat der Bund weitere 500 Millionen Euro für die Anschaffung digitaler Geräte bereitgestellt und fördert die Einstellung zusätzlicher IT-Administratoren für die Schulen. Doch die Mittel reichen nicht aus, um die benötigten 20.000 IT-Kräfte langfristig zu finanzieren.

Quelle: OECD, 2019, Bildung auf einen Blick 2019, OECD-Indikatoren (Tabelle C2.2, Seite 333 und Tabelle C4.1, Seite 360); Eickelmann, Birgit et al., 2019 (Tabelle 5.1, S. 147)

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Digitale Ausstattung von Familien variiert stark.

Im Jahr 2018 besuchten nur gut 26 Prozent der Achtklässler eine Schule, in der Lehrkräfte und Schüler WLAN-Zugang hatten – der internationale Mittelwert betrug fast 65 Prozent. Auch zu Hause können nicht alle Schüler das Web zum Lernen nutzen. Oft sind nicht genug Computer für alle Haushaltsmitglieder vorhanden – auch aus finanziellen Gründen: In Familien mit einem monatlichen Nettoeinkommen von mehr als 5.000 Euro standen 2019 im Schnitt fast vier PCs, Laptops oder Tablets zur Verfügung; in Haushalten, die weniger als 2.000 Euro pro Monat zur Verfügung hatten, waren es nur gut zwei Geräte. Entsprechend besaßen zuletzt auch nur knapp 15 Prozent der Zwölfjährigen aus Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, einen eigenen Computer – unter allen Kindern war der Anteil fast doppelt so hoch. Die Schulen brauchen die Möglichkeit, bedürftigen Kindern und Jugendlichen bei Bedarf Leihgeräte auszugeben.

Quelle: IWD Nr. 10/2020 (IW-Berechnungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels)

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