Hubertus Pellengahr 26. Februar 2021
Standpunkt Pellengahr

Mindestlohn: Augenmaß zahlt sich aus

Was würde geschehen, wenn sich die Höhe des Mindestlohns in Deutschland nicht mehr an der Tariflohnentwicklung orientieren würde, sondern dieser ein politischer Mindestlohn würde? Eine Kritik an den Plänen von SPD und Linken von INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr.


INSM-Position Mindestlohn

Deutschland hat seit mehr als sechs Jahren einen gesetzlichen Mindestlohn. Vom Corona-Jahr 2020 abgesehen ist in dieser Zeit die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten jedes Jahr gestiegen: von 30,4 Millionen Menschen zum Jahresende 2014 auf 33,7 Millionen zum Jahresende 2019.

Diese positive Entwicklung hat zwei Ursachen. Erstens fiel die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in eine prosperierende wirtschaftliche Phase, die auch von den Strukturreformen der Agenda 2010 befeuert war. Zweitens half und hilft der Mechanismus zur Bestimmung der Mindestlohn-Höhe, größere negative Beschäftigungseffekte zu vermeiden.

Die Mindestlohnkommission hat den Auftrag, die Anpassung des Mindestlohns festzulegen und sich dabei an der Entwicklung der Tariflöhne zu orientieren. So stand zum Start am 1. Januar 2015 ein Mindestlohn von 8,50 Euro, aktuell liegt dieser bei 9,50 Euro, ab Sommer 2022 werden es 10,45 Euro sein.

Die Arbeit der Mindestlohnkommission hat sich bewährt. Die Tarifparteien kennen die Spielräume für Lohnerhöhungen. Und deren Grenzen. Sie reflektieren Produktivitätsgewinne und antizipieren konjunkturelle Entwicklungen. Die Orientierung am Tariflohn stellt sicher, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am steigenden Wohlstand teilhaben, die erhöhten Arbeitskosten aber nicht zu unnötigen Arbeitsplatzverlusten führen.

Eine Gesellschaft kann über den politischen Prozess zu der Meinung gelangen, einen Mindestlohn haben zu wollen, sie sollte sich aber über die Kehrseite im Klaren sein. Ein Mindestlohn trifft häufig die ökonomisch Schwächsten der Gesellschaft. Wie hoch der zu zahlende Preis für das bestehende Mindestlohn-Regime ist, ist noch nicht abschließend geklärt. In wirtschaftlich guten Zeiten bemisst er sich weniger an Zahlen zum Beschäftigungsabbau, sondern am reduzierten Beschäftigungsaufbau und am Arbeitsvolumen. Sicher ist, dass die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten deutlich zurückgegangen ist. Zum anderen hat sich die Zahl der Arbeitsstunden je Beschäftigtem reduziert.

Dieser Trend würde sich voraussichtlich ausweiten und verstärken, wenn die Pläne von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Wirklichkeit würden. Demnach soll der Mindestlohn nicht nur auf 12 Euro angehoben werden, sondern es würde auch eine neue Bemessungsgrundlage definiert: vermutlich weg vom Tariflohn, hin zur Orientierung am mittleren Lohn.

Ein solcher Systemwechsel hätte weitreichende Folgen, wie eine neue Studie zeigt, die das Institut der deutschen Wirtschaft in unserem Auftrag erstellt hat.

Infolge einer Umsetzung der Heil/Scholz-Pläne würde zum einen die Vertragsfreiheit deutlich eingeschränkt. So wäre bei einem Mindestlohn von 12 Euro der Eingriff in das bestehende Tarifsystem dreimal so hoch wie der Eingriff zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns Anfang 2015.

Zum anderen schaut die Studie zu unseren europäischen Nachbarn, unter anderem nach Frankreich, wo gravierende Beschäftigungseinbußen infolge hoher Mindestlöhne nur mit Milliarden-Subventionen abgefedert werden können. So gibt Frankreich mehr als 20 Milliarden Euro im Jahr für Lohnsubventionen infolge von Mindestlöhnen aus. Das ist immerhin ein Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts.

Ein Mindestlohn à la Heil/Scholz (von den Vorschlägen der Linken ganz zu schweigen) würde Deutschland vor die Wahl stellen, einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit zu riskieren oder mittels Steuererhöhungen oder neuer Schulden die Lohnsubventionen zu finanzieren.

Klar ist aber auch: Die Arbeit der Mindestlohnkommission hat weitreichende negative Folgen bisher verhindert. Sie sollte deshalb weiterhin den Mindestlohn auf Basis der Entwicklung der Tariflöhne und mit Blick auf die Konjunktur festlegen können.

Deutschland braucht aber keine Steuererhöhungen oder noch mehr Schulden, sondern Wachstum und Beschäftigung. Die Herausforderungen sind, auch Corona-bedingt, groß wie selten. Deutschland braucht eine Politik, die Beschäftigung und Wachstum fördert. Darauf müssen wir uns gemeinsam konzentrieren.