Das neue Arbeitslosengeld II ab 2023

10 Fakten zum Bürgergeld

Sanktionen bleiben möglich ab dem ersten Tag, Sätze steigen.. Lesen Sie hier die auf Basis des erzielten Kompromisses im Vermittlungsausschuss geplanten Änderungen ab 2023.

26. November 2022

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Sanktionen bleiben möglich ab dem ersten Tag, Sätze steigen.

 

Fakt 1: Bei der Hartz-IV-Einführung war alles anders.

Fakt 2: Aktuell fehlen Fachkräfte nahezu überall. 

Fakt 3: Bürgergeld stellt Solidargemeinschaft auf die Probe.

Fakt 4: Sanktionen bringen Menschen schneller in Arbeit.

Fakt 5: Langzeitarbeitslosigkeit ist noch immer ein Problem.

Fakt 6: Ein Vollzeitjob löst die meisten Probleme.

Fakt 7: Fördern und Fordern soll bleiben.

Fakt 8: Bürgergeld baut teure Brücke in die reguläre Rente.

Fakt 9: Mehrarbeit muss sich mehr lohnen.

Fakt 10: Gezieltes Qualifizieren muss Priorität haben.

 

Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Regierung eine umfassende Sozialstaatsreform vorgenommen. Ein Element: Das neue Bürgergeld, das 2023 das Arbeitslosengeld II (sog. Hartz IV) ablöst. Mit 502 Euro pro Monat fällt es um 12 Prozent höher aus.

Das bewährte und überaus erfolgreiche Prinzip des „Fördern und Fordern“ bleibt auch beim Bürgergeld  bestehen. Sanktionen sind in Zukunft auch bei Pflichtverletzungen ab dem ersten Tag möglich.  Das ist gut so. Allerdings werden Steuergelder an vielen Stellen künftig stärker pauschal statt nach Bedürftigkeit verteilt. Das schadet der Solidargemeinschaft und widerspricht dem in der Sozialgesetzgebung geltenden Subsidiaritätsprinzip. Demnach soll der Einzelne erst Grundsicherung erhalten, wenn er selbst keine Mittel hat und andere staatlichen Leistungen nicht ausreichen. Das Schonvermögen fällt nun aber kleiner aus als zunächst geplant, auch wurde die Karenzzeit halbiert auf nun ein Jahr. Eine echte Reform, die Menschen schneller in einen Job bringt, steht noch aus. Dabei wären mehr Arbeitsanreize angesichts des Fachkräftemangels nötiger denn je.

Diese Faktensammlung stellt die Grundpfeiler des neuen Bürgergelds vor und hinterfragt seine einzelnen Elemente kritisch. Außerdem zeigt sie anhand von Arbeitsmarktdaten, inwiefern die Hartz-IV-Reformen erfolgreich waren, wie die aktuelle Lage der Beschäftigten ist und in welchen Bereichen es auf dem Arbeitsmarkt momentan Handlungsbedarf gibt.

Bei der Hartz-IV-Einführung war alles anders.

Anfang der 2000er-Jahre befand sich der deutsche Arbeitsmarkt in schlechter Verfassung: Zeitweise waren über 5 Millionen Menschen arbeitslos. 2005 führte die damalige rot-grüne Bundesregierung „Hartz IV“ ein. Arbeitslose wurden gefördert, aber eben auch gefordert, sonst drohten Sanktionen.

Mit großem Erfolg: Die Arbeitslosigkeit hat sich seither nahezu halbiert – trotz Corona und Energie-Krise. Heute ist die Situation komplett anders: Der Arbeitsmarkt ist robust und es gibt einen Fachkräftemangel. Jede Arbeitskraft wird gebraucht. Die Anreize zu reduzieren, möglichst schnell eine Stelle anzunehmen, weist in die falsche Richtung.

Quelle: Einzelausgaben - Statistik der Bundesagentur für Arbeit (arbeitsagentur.de)

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Aktuell fehlen Fachkräfte nahezu überall.

Von Sommer 2021 bis Sommer 2022 fehlten in Deutschland durchschnittlich fast 540.000 qualifizierte Arbeitskräfte, zeigt eine Auswertung des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa). Das waren so viele wie nie zuvor innerhalb eines Zwölf-Monats-Zeitraums. Die Konjunkturumfrage des ifo Instituts vom Juli 2022 kommt zu einem ähnlichen Befund: Der Fachkräftemangel beeinträchtigt 49,7 Prozent der Unternehmen – ein trauriger Rekord.

Tatsächlich gehen die Experten des Kofa und des ifo-Instituts davon aus, dass sich die Situation weiter zuspitzen wird, schon allein aufgrund der Demografie.

Quellen: ifo Institut, 2022

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Bedürftigkeit wird weiter gefasst

Der Staat muss sorgfältig wirtschaften. Deshalb hatte der Gesetzgeber bei Hartz IV dafür gesorgt, dass die Solidargemeinschaft nur einspringt, wenn die Leistungsempfänger einerseits tatsächlich bedürftig sind – und andererseits alles daransetzen, eine neue Arbeit zu finden.

Beim Bürgergeld wird beides abgeschwächt: So gilt eine Karenzzeit von einem Jahr, in der die Kosten für die Unterkunft in tatsächlicher Höhe übernommen werden. Die zunächst sehr hohen Schonvermögen wurden schließlich gekürzt und  Pflichtverletzungen können vom ersten Tag an in einem Drei-Stufen-Modell sanktioniert werden.

Quellen: SGB II, § 12; Regierungsentwurf zur Änderung des SGB II

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Sanktionen bringen Menschen schneller in Arbeit.

Hartz IV und das künftige Bürgergeld haben eines gemeinsam: Sie sind keine Versicherungsleistungen. Finanziert werden sie – anders als das Arbeitslosengeld I – aus Steuermitteln.

Da ist es selbstverständlich, dass sich die Berechtigten bemühen sollten, möglichst schnell wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Verweigerern drohten bislang teils empfindliche Sanktionen. Indem ein Minimum an Sanktionsmöglichkeiten erhalten bleibt, folgt das Kabinett den wissenschaftlichen Erkenntnissen und gibt den Jobcentern den Ermessensspielraum, den das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aufgezeigt hat.

Lesebeispiel: Nach der ersten Sanktion nahm ein allein lebender Hartz-IV-Empfänger mehr als doppelt so häufig eine Beschäftigung auf als ohne. Nach der zweiten Sanktion anderthalbmal so häufig.

Betrachtung männlicher ALG-II-Bezieher unter 25 Jahre

Quelle: IAB-Kurzbericht 5/2017

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Langzeitarbeitslosigkeit ist noch immer ein Problem.

Herrscht in einem Land Vollbeschäftigung, bedeutet das nicht, dass wirklich jeder und jede einen Job hat – eine gewisse Fluktuation ist nie zu vermeiden. Entsprechend ist Deutschland mit einer Arbeitslosenquote unter 6 Prozent gar nicht weit von der Vollbeschäftigung entfernt.

Dank der guten Entwicklungs des Arbeitsmarktes sank auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Sie sind mindestens zwölf Monate lang ohne Job. Im August 2022 gab es in Deutschland noch über 900.000 Langzeitarbeitslose. Die Corona-Krise hatte den eigentlich guten Abwärtstrend gestoppt und die Zahlen zwischenzeitlich wieder steigen lassen. Für diese Gruppe kommt es auf jeden Tag des Verbleibs in Arbeitslosigkeit an, weil sich die Chancen auf Wiedereingliederung im Zeitablauf rapide verschlechtern.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2022

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Ein Vollzeitjob löst die meisten Probleme.

Wer trotz eines Jobs Anspruch auf Grundsicherung hat, wird umgangssprachlich „Aufstocker“ genannt. Derzeit stocken rund 820.000 Menschen ihr Einkommen auf. 2018 lag diese Zahl noch bei über 1,1 Millionen Menschen. Dabei ist der Anteil an Vollzeitbeschäftigten, die zusätzliche Unterstützung brauchen, äußerst gering. Weniger als 100.000 Personen müssen aufstocken, obwohl sie eine dauerhafte Beschäftigung haben. Meist erhöhen Kinder und Angehörige den Bedarf an Transferleistungen.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2022

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Fördern und Fordern soll bleiben.

In einer repräsentativen Civey-Umfrage von September 2022 gaben fast drei Viertel der Befragten an, dass sie das Prinzip „Fördern und Fordern“ mit Blick auf arbeitslose Leistungsempfänger beibehalten wollen. Besonders interessant: Anhängerinnen und Anhänger aller Parteien unterstützen das Prinzip mehrheitlich – bei der SPD 77 Prozent, bei den Grünen 61 Prozent und bei der FDP 87 Prozent. Und auch die Wählerinnen und Wähler der Opposition stehen überwiegend hinter dem Konzept.

Fast 77 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wollen zudem, dass Leistungsbezieher weniger Geld bekommen, sollten sie sich nicht um einen Job bemühen. Und deutlich über die Hälfte der Befragten ist dafür, dass ein neuer Job für Bürgergeld- Empfängerinnen und -Empfänger das wichtigere Ziel ist, als sie langfristig weiterzubilden.

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

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Bürgergeld baut teure Brücke in die reguläre Rente.

Bislang gelten Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher ab 58 nicht mehr als arbeitslos, wenn ihnen seit zwölf Monaten kein Job angeboten wurde. Diese Regelung beendet das Bürgergeld. Das ist ein wichtiger Schritt, schließlich ist es in Zeiten von Fachkräftemangel essenziell, alle Erwerbsfähigen zu aktivieren.

Allerdings soll mit dem Bürgergeld die Pflicht entfallen, ab 63 Jahren vorzeitig – und mit Abschlägen – in Rente zu gehen, wenn man arbeitslos ist und Anspruch auf Grundsicherung hat. So könnte künftig auf zwei Jahre Arbeitslosengeld I Bürgergeld mit Schonvermögen folgen. Diese „Brücke“ in die abschlagsfreie Rente geht auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler und könnte den Fachkräftemangel zusätzlich verschärfen

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2022

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Mehrarbeit muss sich mehr lohnen.

Schon bei Hartz IV sind die Hinzuverdienstregeln schwer nachzuvollziehen und mit dem Bürgergeld wird es kaum besser: Die ersten 100 Euro dürfen Leistungsbezieher behalten, danach wird es kompliziert. Die Regierung hat nur einen kleinen Schritt bei der Reform der Hinzuverdienstgrenzen gewagt. Bisher wurden den Leistungsbeziehern für jeden selbst verdienten Euro oberhalb der Minijobgrenze und bis 1000 Euro im Monat 80 Prozent vom Sozialtransfer abgezogen. Von 2023 an sollen dies „nur“ noch 70 Prozent sein: Also pro selbst verdientem Euro bleiben hier künftig 30 Cent und damit zehn Cent mehr.

Zielführender wäre es, wenn von den ersten hinzuverdienten Euro besonders viel abgezogen würde und dieser Anteil sinkt, je mehr hinzuverdient wird. Nur dann gäbe es einen Anreiz, den Lebensunterhalt zu möglichst großen Teilen (idealerweise ganz) aus eigener Kraft zu bestreiten.

Quelle: Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

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Gezieltes Qualifizieren muss Priorität haben.

Mit dem Bürgergeld soll der sogenannte Vermittlungsvorrang entfallen (d.h. Arbeitsvermittlung geht vor Qualifizierung). Zwar galt der auch bei Hartz IV nicht uneingeschränkt, gleichwohl ist die generelle Abschaffung aus zwei Gründen problematisch:

  • Die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt sollte weiterhein das Ziel bleiben und erleichtert werden. Positiv ist, dass Leistungsbeziehende mit Weiterbildungen und individueller Betreuung besser gefördert werden sollen. Allerdings war das auch bisher schon möglich.

  • Es ist zwar richtig, dass qualifizierte Menschen deutlich seltener armutsgefährdet sind. Doch der Paradigmenwechsel suggeriert, dass auch eine Qualifizierung „ins Blaue hinein“ als Allheilmittel gegen Hilfsbedürftigkeit taugt. Viel besser wäre es, Arbeitslosen erst einen Job zu vermitteln und sie darin gezielt weiterzubilden.

Quelle: Mikrozensus, 2022

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Ausgewählte Quellen

Bürgergeld: Etikettenschwindel auf Kosten der Beschäftigung
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, 23. August 2022

Bürgergeld statt Hartz IV
Wirtschaftsdienst des Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, 2022

Regierungsentwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, September 2022

Fachkräftemangel steigt auf Allzeithoch
ifo Institut, 2. August 2022

Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung
Institut der deutschen Wirtschaft, 2022

Vorschläge zur Reform der Grundsicherung für Arbeitssuchende und weitere Gesetze zur sozialen Absicherung
IAB-Stellungnahme, 2021