Die Menschen
Frei von Angst und Ausbeutern

Hans-Ulrich Jörges

Lesen Sie den Hans-Ulrich Jörges Artikel „Frei von Angst und Ausbeutern“ in „Das Deutschland-Prinzip“.

3. August 2015

Dieser Beitrag erscheint im Original im Buch „Das Deutschland-Prinzip“. Im Buch erörtern 175 prominente Gastautoren Ihre Standpunkte darüber, was  Deutschland stark macht.
Lesen Sie hier eine Auswahl der Beiträge.

 

Frei von Angst und Ausbeutern

Die Angst ist weg. Verflüchtigt
 hat sie sich. Wie ein leichtes Gas. So lange ist es noch nicht her,
drei bis vier Jahrzehnte, da war die „German Angst“ beständige Diagnose, wenn auf unser Land geschaut wurde. Angst als urdeutscher Seelenzustand spukte durch die Leitartikel der Welt wie die Hunnen durch den britischen Fußball. Nachrüstung, Klimakatastrophe, Globalisierung, Job-Export, Braindrain – die Deutschen waren vernarrt darin, sich scheitern zu sehen. Weltmeister im Den-Bach-Runtergehen. Oh, lustvoller Schmerz.

Heute ist die Seele der Nation geheilt. Heute ist das Land fähig zum Glück. Wir haben nicht nur selbst die Angst verloren, wir haben auch anderen die Angst vor uns genommen. Nicht mehr Furcht flößen wir ihnen ein, sondern Ehrfurcht – vor all dem, was uns ausmacht. Wir können nicht nur erfolgreich sein, sondern auch sympathisch. Selbst Polen ruft nach deutscher Leadership. Die wagte sogar eine Friedensmission zwischen Russland und der Ukraine – ohne amerikanischen Patron. Der Ausbeuter ist weg. Sein Ende in den Köpfen lässt sich nachweisen. Seit mehr als einem Jahrzehnt untersuche ich mit dem Forsa-Institut das Vertrauen der Deutschen in Institutionen und Eliten. Ein Befund ist immer wieder überraschend: Der eigene Arbeitgeber liegt beständig in der Spitzengruppe der Vertrauensträger.

Im Januar 2015 rangierte er unter 35 Playern an dritter Stelle, nach Polizei und Universitäten, vor den Ärzten. Drei Viertel der Deutschen setzen großes Vertrauen in ihren Arbeitgeber. Nur 13 Prozent in Manager von Konzernen. Sie sind Vorletzte. Man vertraut ihnen nicht, man traut ihnen alles zu.

Diese Kluft lässt nur eine Interpretation zu: Das Vertrauen in den Arbeitgeber meint im Kern den eigentümergeführten Mittelstand, das Herz unserer Wirtschaft. Er jagt nicht nach schnellem Profit. Er ist innovationsgetrieben, kümmert sich um seine Leute und trägt oft eine ganze Region. Dieser Mittelständler ist ein politischer Arbeitgeber. Das beweist sich nicht selten durch die Beteiligung der Beschäftigten an Gewinn und Kapital. Und das heißt es auszubauen, zum gesellschaftlichen Leitbild.

Der Mittelstand, sein Ethos, hält das Land zusammen. Politik ist dazu immer weniger in der Lage. Die Beteiligung an Wahlen sinkt bedrohlich. Wir leben längst in einer sanften Diktatur der Minderheiten. Rot-Rot in Brandenburg, Rot-Rot-Grün in Thüringen und Schwarz-Rot in Sachsen stehen jeweils nur noch für ein Viertel (!) der Wahlberechtigten.

Alle Kraft ist also darauf zu verwenden, den Mittelstand modern und stark zu halten. Das heißt, ihn tiefgreifend zu digitalisieren: Kommunikation, Produktion und Produkte. Schnelle Datenleitungen auch in den entlegensten Regionen sind Voraussetzung. Heute ist Deutschland noch ein digitaler Notfall. Dass ein Ingenieur seinen Entwurf rascher im Auto zum Kunden fährt, als er ihn online senden kann, ist unhaltbar.

Mittelstand 4.0 lautet also der Auftrag. Denn daraus erwächst Deutschland 4.0.