Die Menschen
Gerhard Schröder

Gerhard Schröder

Mit der der Agenda 2010 hat er die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland an die Gegenwart angepasst.

Der Agenda-Setter

Er galt erst als Medienkanzler und wurde zum Macher. Mit der Agenda 2010 hat Gerhard Schröder die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland an die Gegenwart angepasst.

„Ich will da rein!“ wusste Gerhard Schröder schon zu seinen Juso-Zeiten, als er nach einer Kneipentour am Zaun des Bonner Kanzleramtes rüttelte und sich dabei fotografieren ließ: Er machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. Und er lieferte. Wer den politischen Werdegang Gerhard Schröders verfolgt hatte, bevor er 1998 zum Bundeskanzler gewählt wurde, hätte also eigentlich nicht überrascht sein dürfen, dass er im Wissen um die schlechten wirtschaftlichen Indikatoren und die hohen Arbeitslosenzahlen, die er vorfand, auf eine Politik setzte, die nicht unbedingt den ureigensten Traditionen der Sozialdemokratie entsprach.

Der Realist Schröder hatte schon 1990 in seiner ersten Regierungserklärung als Ministerpräsident in Niedersachsen wirtschaftsfreundliche Leitmotive vorgetragen: Er setzte dabei vor allem auf einen „sozialdemokratischen Pragmatismus“, der sich weit vom sozialen Vollversorger-Anspruch einiger Parteifreunde verortete und schon 1990 immer wieder zu Konflikten mit seinem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen, aber auch zu zeitweiligem Befremden in der eigenen Partei führte.

Dass sich Schröder darum nicht sonderlich scherte, bewies er auch in seiner zweiten Legislaturperiode als Ministerpräsident in Hannover: Diesmal ohne Koalitionspartner, sondern mit absoluter Mehrheit regierend, setzte er aufgrund der hohen Verschuldung des Landes ein rigoroses Sparprogramm durch, das in der SPD-Landtagsfraktion wegen des Personalabbaus in den Schulen und bei der Polizei heftig umstritten war. Aber der Erfolg gab ihm recht und bescherte ihm auch landesweit eine so große Popularität, dass er Helmut Kohl 1998 als Bundeskanzler ablösen konnte.

Ein einfaches Erbe hat Schröder damals nicht angetreten: Nicht ohne Grund war „Reformstau“ 1997 das Wort des Jahres.
Zwar profitierte Schröder zu Beginn seiner Amtszeit vom Boom der New Economy, doch sollte das Thema Arbeitslosigkeit zu einem der wichtigsten seiner Kanzlerschaft werden. Insbesondere große Teile Ostdeutschlands waren von den prognostizierten „blühenden Landschaften“ noch weit entfernt, immer mehr Firmen konnten dem internationalen Wettbewerbsdruck nicht mehr standhalten. Die Belastung des Faktors Arbeit durch Lohnnebenkosten hatte Rekordniveau erreicht. Zusätzlich waren mit der Wiedervereinigung auch die außenpolitischen Ansprüche an die Bundesrepublik gestiegen: Die internationale Gemeinschaft forderte die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt dazu auf, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Schon die ersten Monate von Schröders Amtszeit zeigten: Es bedurfte neuer Anstrengungen, um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum für das Land in die Wege zu leiten.

Aber weder diese Situation noch die nach einer kurzen Anfangsblüte bescheidenen wirtschaftlichen Eckdaten taten Schröders Beliebtheit im Land Abbruch: Dass Schröder als Person so populär war, hatte einen einfachen Grund: Selten hat ein Kanzler seinem Volk deutlicher suggeriert, dass er „einer von ihnen“ war, zwischen Generaldirektor und Arbeiter schien er keinen Unterschied zu machen. Durch seine lässige und joviale Art schaffte Schröder es, zunehmend wieder junge Menschen für die Politik zu interessieren. Dass Schröder tatsächlich „einer aus dem Volk“ war, machte auch seine Herkunft glaubhaft. 1944 wurde er als Sohn eines Hilfsarbeiters im lippischen Mossenberg geboren und wuchs nach eigenen Angaben in ärmlichen Verhältnissen auf.

„Ich habe am eigenen Leibe erfahren müssen, was es bedeutet, sich Chancen erkämpfen zu müssen“, betont Schröder immer wieder. Aus einem einfachen Auszubildenden in einer Eisenwarenhandlung wurde ein erfolgreicher Jurist.

In der eigenen Partei allerdings wurde der eingeschlagene Weg der Lichtgestalt Schröder nicht ohne Skepsis beobachtet, vor allem nachdem Schröder am 8. Juni 1999 wenige Tage vor der Europawahl zusammen mit dem englischen Premierminister Tony Blair ein Modernisierungskonzept für die europäische Sozialdemokratie vorgelegt hatte. Der Titel des Dokumentes lautet in seiner deutschen Fassung „Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten“. Das sogenannte Schröder-Blair-Papier wurde vom damaligen Kanzleramtsminister Bodo Hombach und von Blairs Vertrautem Peter Mandelson entworfen. Die Denkschrift definierte eine neue Zielgruppe der Politik, die Neue Mitte. Als Gegenentwurf zu den Erfahrungen des Thatcherismus in Großbritannien und der Ära Kohl in Deutschland sollte ein dritter Weg zwischen den Polen Neoliberalismus und klassischer Sozialdemokratie beschritten werden.

Leitbild dieses dritten Weges waren die Theorien Anthony Giddens. Als ein zentrales Element der neuen Sozialdemokratie sieht Giddens einen aktivierenden Sozialstaat. Dieser bedeute für den einzelnen Bürger eine zunehmende Individualisierung und damit eine Zunahme von Verpflichtungen.

„Der dritte Weg“ wurde in diesen Tagen ebenso zu einem geflügelten Begriff wie die „Neue Mitte“ – der Oberbegriff für die von Schröder angestrebte neue peer group der SPD, die sich, so Schröders Ziel, von einer traditionellen Arbeiterpartei weg in ebendiese Richtung einer modernen Neue Mitte bewegen sollte.

Am 14. März 2003 wandte sich Gerhard Schröder mit seiner Regierungserklärung nach dem erneuten Sieg bei der Bundestagswahl an den Bundestag – ein denkwürdiges Datum. Unter dem Titel „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“ schwur Gerhard Schröder die vom Wähler bestätigte rot-grüne Koalition auf ein vom Kanzleramt vorbereitetes Reformprogramm für die nächsten Jahre ein.

„Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen“, benannte der SPD-Kanzler das Thema seiner kommenden Amtszeit.

Und: „Ich will nicht hinnehmen, dass Lösungen an Einzelinteressen scheitern, weil die Kraft zur Gemeinsamkeit nicht vorhanden ist.“ Das war der Startschuss zur „Agenda 2010“.

Die Agenda2010 ist vor allem bekannt durch die Reformen auf dem Arbeitsmarkt mit den Namen „Hartz I“ bis „Hartz IV“. Sie war jedoch ein viel breiter angelegtes Programm. Dies umfasste Steuersenkungen, eine Gesundheits- und Rentenreform, die Veränderungen beim Kündigungsschutz, die Liberalisierung der Handwerksordnung und den Bürokratieabbau sowie eine Flexibilisierung der Flächentarife.

Im Nachhinein muss man konstatieren, dass das Programm ein Erfolg war: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb zum Jubiläum zehn Jahre nach der Verkündung der Agenda 2010, Deutschland habe sich dadurch vom „kranken Mann Europas“ zum „wirtschaftlichen Zugpferd“ des gesamten Kontinents entwickelt. Gerhard Schröder hatte im richtigen Moment erkannt, dass er nur mit Hilfe der Agenda 2010 in der Lage sein würde, die tradierte Form der Sozialen Marktwirtschaft zu erneuern und punktgenau auf die Bedürfnisse der modernen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in Deutschland neu zu justieren.

Großflächenmotiv Gerhard Schröder
Zitat: Gehard Schröder, Regierungserklärung vom 14.03.2003
Foto: Konrad R. Müller